16.12.2019 – Orthodoxiekonflikt

Bedauern und Verständnis

Vor einem Jahr, am 15. Dezember 2018, fand in Kiew das Konzil zur Gründung der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine statt. Die Kirchengründung führte zu einer schweren Krise innerhalb der Orthodoxie. Darüber haben wir mit Prof. Dr. Pantelis Kalaitzidis gesprochen.

Hintergrund

Am 15. Dezember 2018 fand in Kiew das Konzil zur Gründung der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine statt. Dabei schlossen sich die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats und die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche zusammen. Die Vorgänge stehen in engem Zusammenhang mit den Umbrüchen in der Ukraine seit 2014 und dem Krieg gegen Russland. Die Kirchengründung führte zu einer heftigen Reaktion des Moskauer Patriarchates und einer schweren Krise innerhalb der Orthodoxie.
Über Hintergründe der Situation haben wir mit Prof. Dr. Pantelis Kalaitzidis gesprochen. Kalaitzidis studierte Theologie in Thessaloniki und Philosophie in Paris an der Sorbonne. Seit sechzehn Jahren ist er Direktor der Volos Academy for Theological Studies in Griechenland, einem Forschungszentrum, das sich mit aktuellen Fragen der östlichen Orthodoxie beschäftigt.

Seit einem Jahr gibt es nun die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine. Was hat es mit dieser Nationalkirche auf sich?

„In der Orthodoxie gibt es das Prinzip der Autokephalie. Das bedeutet: Orthodoxe Kirchen in einem unabhängigen Staat können auch kirchenrechtlich selbständig, also eine eigenständige Landeskirche mit eigener Jurisdiktion werden. Die Kirche Griechenlands forderte im 19. Jahrhundert die Unabhängigkeit vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel ein, es folgten die Serbisch-Orthodoxe Kirche, die Rumänisch-Orthodoxe Kirche, die Bulgarisch-Orthodoxe Kirche und die Albanisch-Orthodoxe Kirche. Ich selbst stehe diesem Prinzip kritisch gegenüber, es besteht die Gefahr einer „Balkanisierung“ der Orthodoxie. All diese früheren Errichtungen von Nationalkirchen betrafen jedoch ausschließlich das Patriarchat von Konstantinopel. Für das Patriarchat von Moskau ist es das erste Mal, dass es sich dieser Situation stellen muss.“

Warum ist der Wunsch nach Autokephalie so groß?

„Den Wunsch nach Eigenständigkeit der orthodoxen Kirche der Ukraine gibt es seit 1917, und er wuchs insbesondere nach der politischen Unabhängigkeit im Jahr 1991. Den entscheidenden Ausschlag gab dann die Besetzung der Krim und der Gebiete im Osten durch Russland. Hier kommt es zu der Situation, dass die dort lebenden Menschen ihre spirituellen Väter zugleich als politische Unterdrücker identifizieren – das ist für eine Gesellschaft sehr schwer auszuhalten.
Ich persönlich bedaure sehr, dass anstelle einer Überwindung nationaler Grenzen diese nun stärker hervortreten. Aber es ist auch verständlich, das Menschen das Recht auf Selbstbestimmung einfordern, nachdem sie zuvor von den Russen immer als „kleiner Bruder“ behandelt worden waren. Die Ukrainer möchten nicht Teil der Russischen Welt (russki mir) sein.“

Wie reagierte das Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche?

„Als das Patriarchat von Konstantinopel die Orthodoxe Nationalkirche in der Ukraine anerkannt hatte, reagierte der Heilige Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche mit einer sehr schwerwiegenden Entscheidung: die Kontakte zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel wurden abgebrochen und die eucharistische Gemeinschaft mit ihren Bischöfen, dem Klerus und den Laien aufgekündigt. Den Mitgliedern der Russisch-Orthodoxen Kirche ist es verboten, in Kirchen des Ökumenischen Patriarchats die Kommunion zu empfangen. Als das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche von Griechenland, Erzbischof Hieronymos, die Orthodoxe Kirche der Ukraine anerkannte, waren die folgenden Sanktionen nicht so stark: die Aufkündigung der eucharistischen Gemeinschaft gelten nur für Hieronymos und seine Diözese, nicht jedoch für seine ganze Kirche. Bei der dritten Kirche, die die Orthodoxe Kirche der Ukraine anerkannte, das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat von Alexandria, wurde allein der Name des Patriarchen, Theodoros II., aus den Diptychen gestrichen, das bedeutet, sein Name wird in den Gottesdienst nicht mehr kommemoriert, also genannt. Auffallend ist, dass jede weitere Sanktion etwas milder ausfiel, als die vorangegangene.
Beachtet werden muss auch, dass im Gegenzug keine der betroffenen Kirchen Sanktionen gegen das Patriarchat von Moskau getroffen hat. In der Liturgie werden weiterhin die Namen der Oberhäupter der Kirchen genannt, mit denen sie in voller Gemeinschaft stehen. Dabei wird der Patriarch von Moskau, Kyrill I. weiterhin kommemoriert. So verfährt übrigens auch die Orthodoxe Kirche der Ukraine.

Die Patriarchate von Moskau und Konstantinopel repräsentieren zwei unterschiedliche Auffassungen von Orthodoxie. Moskau ist deutlich zurückhaltender gegenüber Veränderungen, Konstantinopel im Vergleich dazu offener für einen Dialog mit der Moderne in Bezug auf Multi-Kulturalität, Menschenrechte und Ökumene. Bereits 1920 hat sich das Patriarchat von Konstantinopel in einer Enzyklika für die Ökumene eingesetzt. Konstantinopel gehört zu den Gründervätern des Ökumenischen Rats der Kirchen.“

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Inhalt erstellt: 16.12.2019, zuletzt geändert: 18.12.2019

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