Junge Soldaten in Donezk
05.11.2016 – n-ost Reportage

Lebenslauf: Krieg

Viele junge Ukrainer sind auf beiden Seiten der Front freiwillig in den Krieg gezogen. Mittlerweile können – oder wollen – die Kämpfer nicht mehr zurück.

Alles ging so schnell. Das Pfeifen der Granaten, der Einschlag, das Beben. Maksim wundert sich noch heute, dass er weder Angst noch Panik hatte, als sein Checkpoint beschossen wurde und er sich auf den Boden warf. Stattdessen war da nur ein Gedanke: an seine Hose. „Verdammt, die Hose habe ich doch gerade erst gewaschen“, schoss es ihm durch den Kopf, als er in einer Regenlache zu sich kam. „Und schon ist sie wieder dreckig.“

Eine Reportage von den n-ost-Korrespondenten Simone Brunner (Text) und Florian Bachmeier (Foto), Awdijiwka/Donezk.

Heute lachen Maksim und Sascha darüber, hier, in der Küche des Stützpunktes der ukrainischen Armee in der Stadt Awdijiwka. Die beiden 22-Jährigen stecken in schweren Armeestiefeln und Camouflage-Anzügen und schlürfen Instantkaffee. Es ist kalt, die zerborstenen Fenster sind notdürftig mit Klebeband fixiert, draußen sind es nur wenige Grad über Null. Eine Fliegenfalle taumelt von der Decke, Fernsehnachrichten und Gelächter tönen aus den Zimmern. Im Innenhof ziehen Militärautos tiefe Spuren in den Schlamm, der Nebel hüllt die Nachbarhäuser vollständig ein. Vor eineinhalb Jahren, kaum dem Teenageralter entwachsen, hat sich Maksim entschieden, in den Krieg zu ziehen. Damals schob er als Wächter 24-Stunden-Schichten bei einer Bank in Kiew. Wenig Geld, und noch weniger Respekt. „Als Wächter bist du doch nichts wert“, winkt Maksim ab. Die „Anti-Terror-Operation“, wie der Krieg in der Ukraine bis heute offiziell genannt wird, verhieß die Aussicht auf ein neues Leben oder zumindest ein Abenteuer. „Komm mit uns, wir befreien Slawjansk!“, hatten ihn seine Freunde gelockt. Sie hatten sich bereits den Freiwilligenbataillonen in der Ostukraine angeschlossen, die sich damals in großer Zahl formierten. Anfangs zögerte er noch. Doch im Frühling 2015 zog er mit dem ersten Kiewer Bataillon an die Front.

Als Held bewundert

Heute reibt sich Maksim den Schlaf aus den Augen. Von zwei bis vier Uhr früh hat er am Checkpoint Dienst geschoben. Es war eine unruhige Nacht, denn der Krieg schläft nicht, vor allem in Awdijiwka, einer Stadt, die seit mehr als zwei Jahren an der Frontlinie zwischen der ukrainischen Armee und den pro-russischen Separatisten liegt. Bis zum Morgengrauen hallten Beschuss und Gewehrfeuer durch die Nacht. Von rund 850 Verstößen gegen die Waffenruhe entlang der 500 Kilometer langen Frontlinie wird die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) später über diesen Tag schreiben.

Zuhause, in Kiew, wird Maksim als Held bewundert, davon ist er überzeugt. Immerhin hat sich in der ukrainischen Hauptstadt ein richtiger Soldatenkult entwickelt: Werbebanner mit verkitschten Kriegsbildern säumen die breiten Straßen und die Rolltreppen in die Kiewer U-Bahn. Am Kiewer Flughafen Boryspil werden Meisterwerke der Kunstgeschichte patriotisch überhöht: etwa „Die Freiheit führt das Volk“, die berühmte Allegorie zur Julirevolution 1830, mit einer ukrainischen statt der französischen Fahne versehen, oder „Das letzte Abendmahl“ mit ukrainischen Soldaten. Doch der Krieg, 700 Kilometer von Kiew entfernt, kennt kein Pathos. In Awdijiwka haben sich die Kämpfe zu einem zermürbenden Stellungskrieg entwickelt. Derzeit wird meist in der Industriezone am Stadtrand gekämpft, doch immer wieder verirrt sich Beschuss bis in die Wohngebiete. Ausgebombte Häuser, zerborstene Fenster: In Awdijiwka ist der Krieg wie eine Wunde, die nie verheilt. In Maksims Zimmer, das er sich mit drei Kameraden teilt, liegen Zahnpastatuben neben Patronenkugeln. Ein Coca-Cola-Poster hängt an der Wand, daneben lehnen AK-47-Gewehre. Der Balkon ist weggebombt. Mit Filzstift hat jemand eine Zahlenreihe an die Wand gemalt – die Tage bis zum nächsten Heimaturlaub.

Sowjet-Nostalgie und Rache

Keine fünf Kilometer Luftlinie entfernt, doch schon auf der anderen Seite der Front, steht Alexander. Auch er kennt Awdijiwka nur zu gut. Hier hatte Alexander nämlich seinen ersten Kriegseinsatz, damals, im Juli vor zwei Jahren, wenige Tage, nachdem sich der heute 26-jährige Donezker den pro-russischen Separatisten angeschlossen hatte. Heute steht er vor den Trümmern des Donezker Flughafens, der in brutalen Kämpfen zuerst von den Ukrainern erobert, dann wieder von den Separatisten zurückerobert wurde. Alexander weist mit der Hand in Richtung Norden. Dort, wo ein paar Plattenbauten in der Herbstsonne blitzen, ist schon Awdijiwka. Und somit die feindlichen Stellungen der ukrainischen Armee.

Es ist eine Geschichte von Rache, Widerstand und Sowjet-Nostalgie, die Alexander erzählt – wenngleich er selbst gar nicht in der Sowjetunion groß geworden ist. Als Donezk im Frühsommer 2014 von den Ukrainern beschossen wurde, verrichtete er gerade seinen Dienst in einem Kohleschacht. Nur mit Mühe konnten sich die Schachtarbeiter befreien, nachdem die Kollegen, die sie wieder an die Oberfläche zurückholen sollten, allesamt vor dem Beschuss geflohen waren. Als die ukrainische Armee im Juli immer näher an Donezk heranrückte, packte er seine Sachen. „Ich habe mich den Separatisten angeschlossen, weil ich verstanden habe, dass sie für die richtige Sache kämpfen“, sagt Alexander. „Wir sind sowjetische Menschen und brauchen die EU nicht.“

Doch nicht alle von Alexanders Freunden sehen das so. Einige von ihnen sind aus der selbst-proklamierten „Donezker Volksrepublik“ nach Kiew geflohen, andere haben sogar gekämpft, auf der anderen Seite der Front. Alexander schüttelt den Kopf. „Sie sind verblendet, weil sie denken, dass sie eine neue Gesellschaft aufbauen werden.“ Seinen Eltern hinterließ er einen Abschiedsbrief, sein Handy schaltete er aus. Bereits drei Tage später stand er in Awdijiwka und schoss auf ukrainische Stellungen. Doch die Schlacht ging verloren. Von den 30 Menschen, mit denen er damals kämpfte, ist inzwischen nur noch die Hälfte am Leben.

Junger Soldat in Donezk
Alexander, 26 Jahre, ist seit 2 Jahren Soldat der pro-russischen Separatisten. Inzwischen arbeitet er in der Administration des "Verteidigungsministeriums" der "Donezker Volksrepublik"
Quelle: Florian Bachmeier, n-ost

Die Jungs nicht im Stich lassen

Alexander räumt er ein, enttäuscht zu sein. Eine direkte Unterstützung durch die russische Armee, die schon oftmals dokumentiert wurde, dementiert er. Während Moskau die Krim annektierte, blieb den Separatisten in der Ostukraine der Wunsch nach einer russischen Angliederung verwehrt. Inzwischen ist Alexander in der Administration des „Verteidigungsministeriums“ der „Donzeker Volksrepublik“ angestellt. Das ist noch einer der aussichtsreicheren Jobs in der nicht anerkannten Separatistenrepublik, die von Krieg, Isolation und einer Wirtschaftskrise erschüttert ist, militärisch und wirtschaftlich einzig von Moskau am Leben erhalten. Viele Möglichkeiten sind Alexander nicht geblieben: Der Kohleschacht, in dem er früher arbeitete, ist inzwischen vom Beschuss zerstört. Wenn der junge Mann ukrainisch kontrollierten Boden betritt, droht ihm wegen Separatismus eine mehrjährige Haftstrafe. Das gilt auch für die pro-russischen Kämpfer, die aus Städten und Dörfern kommen, die nun unter ukrainischer Kontrolle stehen. Für sie gibt es praktisch kein Zurück mehr aus dem Krieg.

Aber auch Maksim, der junge Soldat auf der anderen, ukrainischen Seite, denkt derzeit nicht daran, in sein altes, ziviles Leben zurückzukehren. „Ich möchte meine Jungs hier einfach nicht im Stich lassen“, sagt er. Und was sollte er auch in Kiew, das unter einer Wirtschaftskrise leidet, wo kein Job, kein Arbeitgeber auf ihn warten? Wo kein Kameradschaftsgeist herrscht, wie an der Front? Keiner über die derben Soldatenwitze lacht? „Ein Leben fern des Krieges kann ich mir gar nicht vorstellen“, sagt er. Zwei Monate muss Maksim noch in Awdijiwka bleiben, dann zieht er mit seiner Truppe weiter, in die nächste Stadt. Wieder an die Front.

Inhalt erstellt: 30.11.2016, zuletzt geändert: 12.02.2019

Unsere Newsletter