Msgr. Dr. Miljenko Aničić ist Caritasdirektor der Diözese Banja Luka.
Msgr. Dr. Miljenko Aničić ist Caritasdirektor der Diözese Banja Luka.
Quelle: Renovabis-Archiv
08.01.2021 – Interview

Flüchtlinge auf dem Balkan: Endstation Bihać?

Die Situation von Flüchtlingen auf dem Balkan ist oft erschreckend. Wir haben mit Msgr. Dr. Miljenko Aničić, Caritasdirektor der Diözese Banja Luka, über Probleme und Perspektiven gesprochen.

Wir erleben nun bereits den dritten Winter, in dem es eine dramatische Zuspitzung der Lage von Flüchtlingen in Bosnien und Herzegowina gibt. Vor fast genau einem Jahr, im Dezember 2019, war die internationale Öffentlichkeit von den Zuständen im Flüchtlingscamp Vučjak geschockt, in dem 700 Migranten nahe von Bihać auf einer ehemaligen Müllhalde ohne Wasser oder Strom leben mussten. Renovabis hat seinerzeit bereits ein Interview mit Caritasdirektor Aničić geführt.

Jetzt sehen wir Bilder aus dem Lager Lipa, erneut nahe Bihać, in dem einige hundert junge Männer vorwiegend aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran ohne Strom, Wasser und winterfeste Zelte mitten im bosnischen Winter leben müssen. Das Lager sollte geräumt werden, als Reaktion darauf zündeten es einige Bewohner am 23. Dezember an. Jetzt müssen sie schutzlos in den Trümmern leben: Ihre Evakuierung in andere Landesteile schlug fehl.

Herr Aničić, als deutscher Beobachter erhält man folgenden Eindruck: Das Gebiet ist das gleiche – die Region um Bihać, weil sie am nächsten zur kroatischen EU-Grenze liegt. Aber das Drama um die Flüchtlinge wird immer schlimmer: letztes Jahr lebten Flüchtlinge mitten im Winter ohne Infrastruktur auf müllverseuchtem Boden, in diesem Jahr brennt ein Flüchtlingslager nach Brandstiftung ab und es gelingt nicht, für die nunmehr schutzlosen Flüchtlinge eine Ersatzunterkunft an einem anderen Ort in Bosnien zu finden. Man fragt sich unwillkürlich: Wann gibt es die ersten Toten? Warum kommen immer um die gleiche Zeit die gleichen Bilder?

Miljenko Aničić (M.A.): Gewaltakte und Tote gibt es bereits seit längerer Zeit, sei es bei Auseinandersetzungen unter den Migranten selbst oder bei Streit zwischen Migranten und der Bevölkerung. Warum um die gleiche Zeit die gleichen Bilder? Niemand in Bosnien und Herzegowina will die Migranten im Lande haben. Die Bevölkerung hat inzwischen erlebt, dass die Behörden keine Kontrolle über dieses Problem haben. Wahrscheinlich erwarten sie (und auch die Bevölkerung) immer noch, dass Bosnien und Herzegowina für Migranten nur ein Transitland ist. Dementsprechend beschäftigt sich die Politik kaum mit diesem Problem. Alle Maßnahmen wurden durch den Druck der EU-Instanzen erreicht: Man tut immer nur so viel, dass man die Öffentlichkeit im Westen beruhigt und an Zeit gewinnt. Deswegen hat man sich auf politischer Ebene nicht viel bemüht, das Leben der Migranten leichter zu machen. Im Gegenteil!
Die Frage der Zuständigkeit und damit auch der Verantwortung zwischen den verschiedenen Ebenen (Staat, Kanton, Gemeinde) ist nicht geklärt und so bedeuten manche Entscheidungen in der Praxis nichts. Der Staat hat zu wenig Polizeibeamte. Nicht nur, dass sie die Grenze nicht schützen können, sie sind kaum in der Lage, auch die innere Sicherheit zu garantieren. Die Menschen erleben, dass sie sich selbst überlassen sind.

Hier spielt auch die Frage der Verteilung der EU-Gelder eine große Rolle.
Die Migranten selbst haben zu einer negativen Haltung der lokalen Bevölkerung beigetragen durch Gewaltausbrüche, Morde, Angriffe auf die Bevölkerung und untereinander, Einbrüche in alleinstehende Häuser, Plünderungen usw. Mit einem Wort: Es wird erwartet und gewünscht, dass Migranten weiterziehen und das Land verlassen.

Welche Rolle spielt die IOM (International Organization for Migration), die von der UN als alleinzuständige Nichtregierungsorganisation anerkannt wurde? Die IOM hatte die Schließung des Lagers in Lipa beschlossen. Hat sie sich ausreichend mit den bosnischen Behörden abgesprochen?

M.A.: Ich kann wenig über die Rolle der IOM sagen. Wir als Caritas besprechen unsere Aktivitäten mit der IOM. Bis jetzt hatten wir keine Probleme. Das, was wir vereinbart haben, wurde eingehalten. Oft wollten wir von der IOM, d.h. den leitenden Personen in Bihać, Informationen über die Pläne betreffend der Schließung des Zentrums in Bira haben. Meistens haben wir erlebt, dass die Zuständigen kaum etwas gewusst haben – so haben sie es uns jedenfalls gesagt – und dass sie auch nicht wissen, ob die Vereinbarungen mit den Behörden eingehalten werden. Wie und was zwischen den bosnischen Behörden und der Leitung der IOM auf höchster Ebene vereinbart wurde, wissen wir nicht. Allgemein kann man sagen: hier gelten Vereinbarungen wenig. Besonders wenn die Frage der Zuständigkeit und der Verantwortung von einer Ebene auf die andere geschoben wird.

Einige Flüchtlinge haben im Lager Lipa, das mit Geld aus der EU errichtet wurde, Feuer gelegt und verhielten sich damit nach dem Muster der Flüchtlinge, die das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos anzündeten. Wir müssen davon ausgehen, dass heute über Smartphones jede Nachricht überall bekannt wird. Aber anders als in Griechenland ist in Bosnien eine Evakuierung der Menschen aus dem abgebrannten Lager an einen anderen Ort gescheitert. Bosnien und Herzegowina hat von der EU viele Millionen Euro für die Migrantenhilfe erhalten. Sie haben letztes Jahr gesagt, das Geld komme vor Ort in den Kommunen nicht an. Kann die EU eine sachgerechte Verwendung des Geldes für Migration in Bosnien überhaupt sicherstellen? Oder wird EU-Geld buchstäblich „verbrannt“?

M.A.: Das Lager in Lipa war von Anfang an, noch im ersten Sommer, problematisch. Zelte aufzustellen ohne Infrastruktur (Wasser, Strom) in einer Wüste, zu der man ca. zwei Kilometer durch den Wald auf einer fürchterlichen Makadamstraße sehr schwer mit dem Auto kommt, ist keine besondere Leistung. Im Sommer war es sehr heiß, jetzt im Winter ist es sehr kalt. Es ist kein Wunder, dass die aus Bihać und dem Migrantenzentrum in Bira in dieses Zeltlager verlegten Migranten immer wieder geflohen und zu Fuß in die ca. 25 Kilometer entfernte Stadt Bihać zurückgekehrt sind. Es ist zu erwähnen, dass es sich nicht nur um Flüchtlinge in Lipa handelt, sondern auch um viele Flüchtlinge, die nie in einem Flüchtlingslager waren, sondern in verlassenen Häusern oder Fabrikhallen oder unter selbstaufgestellten Zelten in den Wäldern rund um Bihać leben.

Die Frage des Geldes ist eine sehr wichtige Frage. Es ist schade, dass die europäischen Institutionen in Sarajevo nicht von Anfang an genauer auf die Verwendung der bereitgestellten Gelder der EU geschaut haben. Die EU hat die Möglichkeit, die Verwendung der Mittel zu kontrollieren. Gegenseitige Beschuldigungen, dass die lokalen Ebenen sich selbst überlassen sind, gibt es weiterhin. Ich kann nicht sagen, in welche Kanäle das Geld der EU fließt. Es wäre sicher gut, diese Frage zu klären. Allgemein wird gesagt, dass für die Flüchtlinge viel zu wenig getan wurde. Es gibt Gebiete in Bosnien und Herzegowina, die die Anwesenheit von Flüchtlingen in ihrer Nähe von vornherein ausschließen. Lieber verzichten sie auf irgendwelche EU-Gelder, besonders wenn es in der Folge damit Probleme gibt. Dass es eine gerechte Verteilung der Flüchtlingslast nicht geben kann, wird klar, wenn man die Ziele der Migranten vor Augen hat. Sie kommen meistens in die Region Bihać, weil man von dort am schnellsten über kroatisches Territorium zur kroatisch-slowenischen Grenze kommt. Dass es aber hier auch um politische Spiele geht, wer wem mehr Probleme wünscht und schafft, kann man nicht leugnen. Diese Schadenfreude ist ein wichtiges Kennzeichen der Politik in Bosnien und Herzegowina im Allgemeinen.

Es gibt auch positive Fakten zu erwähnen: Es gelang erstaunlich schnell, kurzfristig für 800 Menschen Busse aufzutreiben, aber die nächtliche Irrfahrt des Bus-Konvois scheiterte: Kein anderer Kanton in Bosnien und Herzegowina zeigt sich bereit, die Flüchtenden aufzunehmen. Jetzt hat immerhin die bosnische Armee neue Zelte zur Verfügung gestellt. Es funktioniert also etwas, wenn der politische Wille vorhanden ist. Wer blockiert hier wo? Und wie kann man Blockaden lösen?

M.A.: Wenn der politische Wille vorhanden ist, gibt es auch Resultate. Aber der politische Wille ist selten da. Das Beispiel mit der bosnischen Armee ist vielleicht nicht das Beste, weil es sich hier um eine besondere Institution mit klaren Befehls- und Verantwortungsstrukturen handelt. Die gegenseitigen Blockaden zwischen drei nationalen Gruppen und ihren Politikern beherrschen die bosnisch-herzegowinische Politik. Die Situation der Flüchtlinge ist nur ein aktuelles Beispiel dafür. Man erschöpft sich gegenseitig in der Erwartung, dass die andere Seite nachgeben oder, noch besser, das Land verlassen wird. Die kleineren Volksgruppen sind damit in einer schwierigeren Lage.

Bei manchen Politikern merkt man auch die Hoffnung, dass Europa und die USA müde werden, mit ihren Interventionen aufhören und das Land sich selbst überlassen. Es zeigt sich aber auch, dass immer mehr bosnische Bürger müde werden, kein Vertrauen in die Zukunft des Landes mehr haben und das Land verlassen. Man kann die Schuldigen für die Blockaden nicht so eindeutig bestimmen. Das System funktioniert so und zwar seit langer Zeit.
Es ist kein Geheimnis, dass sich außer EU und USA weitere Großmächte ziemlich offen in die Geschehnisse in Bosnien und Herzegowina einmischen und Partei für eine der drei Volksgruppen ergreifen. Meistens werden in diesem Zusammenhang Russland, China und immer mehr auch die Türkei erwähnt. So fühlen sich manche ethnische Gruppen und ihre Politiker in ihrer Politik unterstützt. Die Politiken der drei Gruppen sind grundverschieden sowohl in Bezug auf die Beurteilung der Vergangenheit, als auch der Vorstellung über die Zukunft.

Aktualisierung vom 11. Januar - In einer E-Mail schreibt Msgr. Dr. Miljenko Aničić: "Als Ergänzung zum Interview vom 8. Januar 2021 informiere ich Sie, dass in den von Soldaten aufgestellten Zelte nur ca. 200 Flüchtlinge aufgenommen werden konnten. Das bedeutet, dass der Großteil der Flüchtlinge immer noch ohne Unterkunft ist. Hier hat es gestern und heute geschneit."

Im vergangenen Monat jährte sich zum 25. Mal das Dayton-Abkommen. Renovabis hat dazu in Kooperation mit der Katholischen Akademie in Berlin eine eigene digitale Veranstaltung angeboten. Wir können uns heute des Eindrucks nicht erwehren, dass Bosnien und Herzegowina ein „gescheiterter Staat“ ist. Wie soll die EU künftig damit umgehen? Müsste nicht erst das „Problem Bosnien und Herzegowina“ gelöst werden, bevor man das viel größere Problem – die Balkanflüchtlingsroute – angeht?

M.A.: Die digitale Veranstaltung von Renovabis anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Dayton-Abkommens war sicher ein lobenswerter Versuch, die breitere Öffentlichkeit an die Probleme eines europäischen Landes zu erinnern. Als jemand, der in Bosnien und Herzegowina geboren und aufgewachsen ist, kann ich mich nicht mit dem Wort vom „gescheiterten Staat“ anfreunden. Auf der anderen Seite kann ich die Realität nicht leugnen. Ich war am Ende des Krieges ein viel größerer Optimist als heute. Das Dayton-Abkommen hat seit langer Zeit ausgedient. Die Bischöfe von Bosnien und Herzegowina haben vor 25 Jahren offen auf manch schlechte Lösungen des Dayton-Abkommens hingewiesen. Fallweise Änderungen im Dayton-Abkommen seitens der hohen Repräsentanten haben die Situation noch verschlechtert. Hier muss eine gründliche Reform geschehen; man redet von der Änderung der Verfassung. Das Dayton-Abkommen ist gleichzeitig auch Friedensabkommen. Sicher braucht man Hilfe von außen. Wünschenswert wären solche Helfer, die mit guten Kenntnissen und einem Feingefühl für die Realität dieses Landes, seine Geschichte und nationale Besonderheiten der drei konstitutiven Völker an die Sache herangehen. Wegen der ungelösten nationalen Probleme im ehemaligen Jugoslawien hatten wir einen fürchterlichen Krieg.
Unser Problem in Bosnien und Herzegowina ist, dass sich niemand zu Hause fühlt. Die Menschenrechte müssen viel stärker geschützt werden, aber auch die kollektiven Rechte der ethnischen Gruppen und ihre Identität, auch wenn das heute in Europa nicht gerne gesehen wird. Es gibt in Europa gute Beispiele dafür, wie man einen multinationalen Staat organisiert. Seit längerer Zeit sind nationale Parteien an der Macht. Es wird ihnen vorgeworfen, dass sie keine Lösung der Probleme, sondern eher Blockaden gebracht haben. Auf der anderen Seite gibt es in der politischen Landschaft von Bosnien und Herzegowina keine wahren Alternativen zu den nationalen Parteien. Wenn es um die Grundziele der drei ethnischen Gruppen geht, sind alle Parteien gleich. Ich war Zeuge, als vor Jahren eine Abgeordnete des EU-Parlaments von Sarajevo nach Banja Luka reiste. In Sarajevo führte sie Gespräche mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten und kommentierte später ziemlich enttäuscht: „Er ist nationalistischer als der Vorsitzende der nationalen Partei“.

Zu einer Differenzierung der politischen Landschaft und einem echten politischen Pluralismus kommt es wahrscheinlich erst, wenn durch die Verfassung ein Rahmen geschaffen wird, der Sicherheit und eine eigene Identität für alle ethnischen Gruppen und Menschenrechte für alle Bürger garantiert. Ohne diese Änderung kommt es immer wieder zur Homogenisierung der ethnischen Gruppen um ihre „nationalen“ Leader. Sie erhalten einander an der Macht.

Vor einem Jahr haben Sie schon davon berichtet, dass das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft der bosnischen Bevölkerung, von denen viele selbst Erfahrungen von Flucht und Vertreibung während des Krieges in den 1990er Jahren hatten, inzwischen „geschwunden“ seien. Wie blicken die Menschen heute auf die Situation? Wie berichten die Medien darüber?

M.A.: Die Menschen sehen das Flüchtlingsproblem unterschiedlich. Dort, wo Flüchtlinge sich länger und in größerer Zahl aufhalten, herrscht eher eine negative Einstellung vor. Das ist an erster Stelle der Fall im Gebiet Bihać, und dann auch bei Sarajevo oder Tuzla. In anderen Teilen des Landes, wo die Migranten unterwegs sind, reagieren die Menschen viel menschlicher, mit viel mehr Gefühl und Hilfsbereitschaft. Selbstverständlich ist das oft mit Angst verbunden. Es kommt zu Plünderungen und Sachbeschädigungen seitens der Flüchtlinge. Aus Bosnien und Herzegowina wandern sehr viele einheimische, hauptsächlich junge und ausgebildete Menschen aus. Ganze Familien verlassen das Land und gehen Richtung Westen. Das Land wird immer leerer. Es bleiben alte, kranke, arbeitsunfähige und verarmte Menschen. Gleichzeitig kommen viele Flüchtlinge ins Land, die dort widerwillig bleiben müssen. Viele Menschen sehen das mit großem Misstrauen. Sie sind davon überzeugt, dass ihr Land von der EU dazu bestimmt ist, eine Sammelstelle für Flüchtlinge zu werden. Diese Tatsache ist eine zusätzliche Motivation für neue Auswanderungskandidaten.

Die Medien halten sich meistens an die offizielle Haltung. Oft würde man sich mehr kritische Haltung gegenüber den politischen Akteuren wünschen. Beim Berichten über manche Vorfälle, wird Angst vor Fremden verbreitet und verstärkt. In den Gebieten, die kategorisch den Aufenthalt der Migranten ablehnen, sind die Medien im Dienst der offiziellen Politik. Sie machen Stimmung gegen Flüchtlinge.

Alle Migranten versuchen immer wieder über die kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Die kroatische Grenzpolizei reagiert beim Schutz der EU-Außengrenze rigoros und teilweise auch mit „pushbacks“ (sog. Zurückdrängung über die Grenze) und Gewaltanwendung, wie Beobachter vor Ort berichten. Was ist die Rolle der bosnischen Grenzpolizei? Wie sieht die bosnische Bevölkerung das Problem der illegalen Grenzübertritte? Was ist die Position der katholischen Kirche in Bosnien und in Kroatien?

M.A.: Bosnien und Herzegowina hat zu wenig Polizeibeamte. Sie verdienen zu wenig, geben oft ihren Arbeitsplatz auf und verlassen das Land, um ihr Leben im Ausland zu organisieren. Die im Land verbleibenden Polizisten sind nicht in der Lage, die Ostgrenze (zu Serbien und Montenegro) zu schützen und illegale Grenzübertritte zu verhindern. Sie sind auch technisch zu wenig ausgerüstet. Der Versuch, die bosnischen Soldaten an die Grenze zu senden, wurde vom serbischen Mitglied im Präsidium Bosnien und Herzegowina verhindert. Die Migranten haben keine Dokumente mit sich. Spätestens beim Grenzübertritt nach Bosnien und Herzegowina vernichten sie ihre Dokumente. Für die Bevölkerung ist das besorgniserregend. Die Angst, dass durch die Einreise völlig unbekannter Menschen ins Land die eigene Sicherheit in Fage gestellt wird, ist sicher bei den meisten Menschen im Land vorhanden. Manche Vorfälle bestätigen und verstärken diese Angst.

Die Kirche in Kroatien war während der ersten Migrantenwelle vor fünf Jahren sehr aktiv und mit ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit präsent. Nachher engagierte sich die kroatische Caritas an den Maßnahmen zur Integration der Migranten, die in Kroatien Asyl bekommen haben. Sehr aktiv ist der Jesuiten-Flüchtlingsdienst von Zagreb. Von dort aus ist er zeitweise auch in Bosnien und Herzegowina im Gebiet Bihać tätig.

Die Kirche in Bosnien und Herzegowina übernahm seit Beginn der Flüchtlingskrise eine aktive Rolle. Das Thema Migranten wird regelmäßig in der Bischofskonferenz behandelt. Die von dort gesandten Apelle an die in- und ausländische Öffentlichkeit wurden leider von den politisch Verantwortlichen im eigenen Land am wenigsten gehört. Vom Vatikan werden die Aktionen der Kirche nicht nur mit Interesse verfolgt, sondern angespornt und konkret unterstützt. Vor kurzem sandte Papst Franziskus finanzielle Hilfe für die Migrantenarbeit der Caritas.

Was tut die katholische Kirche in dieser Situation für die Migranten? Wie können wir von Deutschland aus helfen?

M.A.: Die nationale Caritas hat als eine der ersten Organisationen in Bosnien und Herzegowina auf die Krise reagiert. So werden manche Aktionen von der nationalen Caritas koordiniert, wie z. B. Wäschereien in Tuzla und Sarajevo (Erzdiözese Sarajevo) und Bihać (Diözese Banja Luka) – unterstützt durch mehrere nationale Caritasverbände aus Europa und Amerika. In diesen Orten führt man auch von Papst Franziskus unterstützte Projekte im psycho-sozialen Bereich durch. Auf der Ebene der Diözesancaritasverbände werden zusätzliche und eigene Hilfsmaßnahmen unternommen. Ein viel größeres Projekt wird durch die Caritas Österreich vorbereitet und soll noch im Januar beginnen. Neben Kleidern, Schlafsäcken, Decken u.v.m. werden Nahrungsmittel für Migranten in Bihać, unter anderem auch ins Zentrum Lipa, geschickt. Dieses Projekt beinhaltet aber auch Hilfsmaßnahmen für die einheimische Bevölkerung. Etwas Ähnliches soll auch in Sarajevo gemacht werden. Mit Hilfe der Caritas Italien wird an der Vorbereitung eines Projektes zur Bereitstellung von Bildungsmaßnahmen (Sprache, Beschäftigungsmöglichkeiten besonders für Frauen u.a.) gearbeitet. In diesen Bereichen liegen auch die meisten Bedürfnisse und die Möglichkeiten der Hilfe aus Deutschland, wenn es um die Flüchtlinge geht. Selbstverständlich führt die Caritas Banja Luka ihre regelmäßige Hilfsarbeit auch im Bistum durch, u.a. durch den von Renovabis und einigen Diözesen aus Deutschland unterstützten Bau eines Kindergartens. Für die finanzielle Unterstützung ist die Caritas Banja Luka sehr dankbar.

Inhalt erstellt: 08.01.2021, zuletzt geändert: 10.02.2021

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