Gastkommentar von Pfarrer Dr. Christian Hartl in der Tagespost,
Ausgabe 14 vom 2. April 2020
Manchem wird erst jetzt bewusst, wie viele Menschen aus mittel- und osteuropäischen
Ländern in Deutschland und Österreich berufstätig sind. Derzeit fehlen die Erntehelfer. Aber auch die Baubranche ist bedroht, wenn die vielen ausländischen Hilfskräfte in ihre Heimat zurückkehren. Vor allem aber der Gesundheitssektor, auf den derzeit die Scheinwerfer der medialen Aufmerksamkeit gerichtet sind, ist ohne die Unterstützung aus östlichen Nachbarländern nicht mehr vorstellbar. Meist werden die ausländischen Arbeitskräfte nicht
gut bezahlt. Aber sie verdienen immerhin in Deutschland und Österreich um einiges
mehr als in ihren Heimatländern. Wen interessiert es dann, was diese Arbeitsmigration für die Familienangehörigen und für die gesellschaftliche Entwicklung in den Nachbarländern bedeutet? Und doch beweist die Faktenlage auf dem Arbeitsmarkt, dass wir längst schon
zu einer europäischen Schicksals-Union zusammengewachsen sind. Freilich zeigt diese Union viele Facetten von Ungleichheit und leider auch von Ungerechtigkeit.
Die Corona-Pandemie bringt die Gesundheitssysteme in Westeuropa an ihre Grenzen. Das muss uns alle mit großer Sorge erfüllen. Aber was geschieht mit den Menschen in unseren östlichen und südöstlichen Nachbarländern, die kaum oder gar nicht über funktionierende Gesundheitssysteme verfügen, geschweige denn, dass ihnen eine soziale Absicherung in
Aussicht gestellt werden könnte? Wird sich unsere europäische Schicksals-Union als Solidaritäts-Union erweisen? Manch besorgter Bürger fragt: Müssen wir jetzt nicht zuerst einmal an uns selber denken? Aber wer ist dieses „uns“?
Wenn Europa mehr ist als ein Austragungsort wirtschaftlicher Interessenskämpfe, dann muss dies jetzt deutlich werden. Die Corona-Pandemie macht uns bewusst, dass Viren keine Grenzen kennen. Gleiches sollte für unsere Solidarität gelten – weltweit, aber ganz selbstverständlich auch in Europa.
Weitere Beiträge zur Auswirkung der Corona-Pandemie auf Renovabis und die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas
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