20.12.2019 – Bosnien und Herzegowina

Geflüchtete sind in Bosnien unerwünscht: Kirche hilft trotzdem

In Bihać und dem Camp „Vučjak“, dem in den Medien zu trauriger Berühmtheit gelangten Flüchtlingslager auf einer früheren Müllkippe, ist es in den letzten Tagen viel kälter geworden. Jetzt lehnen die geflüchteten nach dem Augenschein von Monsignore Miljenko Aničić die Nahrung ab — aus Protest.

„Der Anlass für den Protest ist die unerträgliche Situation im Camp,“ sagt der Direktor der Diözesancaritas von Banja Luka in Bosnien und Herzegowina. Zusätzlich sei aber „die wichtigste Forderung der Migranten die Öffnung der Grenzen nach Kroatien und damit in die EU.“ Monsignore Aničić hofft selbst, dass die schon lange versprochene Verlegung des Flüchtlingslagers von der Müllkippe in eine Kaserne bei Sarajevo die Situation etwas verbessern und entspannen wird.

Für Renovabis sprach Thomas Schumann mit dem Caritasdirektor.

Wie sieht die Lage der geflüchteten Menschen aus welchen Herkunftsländern bei Ihnen zur Zeit aus?

Mindestens 52.000 Geflüchtete seien in den letzten zwei Jahren nach Bosnien gekommen, heißt es. Die meisten stammen aus Pakistan und fast alle sind junge Männer. In der Regel sind sie ohne Pass unterwegs. Ein gewisses Mitgefühl der Bevölkerung am Beginn der Krise und auch Hilfsbereitschaft sind geschwunden. Man muss sagen, dass die Flüchtlinge in Bosnien und Herzegowina nicht willkommen sind. Die Regierung hat nie ein Interesse für die Geflüchteten gezeigt und nie versucht, akute Migrationsprobleme zu lösen. Was geschah, ist nur unter ausländischem Druck und mit großer Verzögerung geschehen.
Die Migranten wurden monatelang von Sarajewo in Richtung Westen zur kroatischen Grenze in die Region Bihać gedrängt. Sie sollten wohl durch schlechte Lebensumstände zusätzlich gezwungen werden, immer wieder über die kroatische Grenze — die EU-Außengrenze — zu gehen. Die Städte und Gemeinden dort wurden in der wachsenden Flüchtlingskrise mit der Not der Geflüchteten allein gelassen. Es heißt, dass von den mehr als 30 Millionen Euro Migrantenhilfe der EU nur sehr wenig in den Städten und Gemeinden angekommen sei.

Bitte beschreiben Sie uns, was es mit der Schließung des Flüchtlingscamps in Bihac auf einer Müllkippe auf sich hat — wie beurteilen Sie diese spezielle Situation?

Immer wieder und erst kürzlich hat der Bürgermeister von Bihać geklagt, dass seine Kommune kein Geld von der Regierung bekommen hat und die Last allein tragen müsse. Der Gemeinderat beschloss darauf hin, den Migranten alle Hilfe zu entziehen. Damit wollte die Kommunalpolitiker die Situation so extrem eskalieren lassen, „damit die Verantwortlichen in Sarajevo wach werden“ sollten. Deswegen will man auch immer wieder das Flüchtlingscamps „Vučjak“ auf einer ehemaligen Müllkippe bei Bihać nahe an der kroatischen Grenze schließen — 700 Migranten sind betoffen.
„Vučjak“ hat keinerlei Infrastruktur, kein Wasser, keinen Strom. Bagger haben die Müllhalde eingeebnet und Zelte darauf gestellt. Unter den Zelten, leben die Menschen — besonders jetzt, wo es kälter wird — in unerträglichen Verhältnissen.

Welche Folgen hat die angespannte Stimmung in den Flüchtlingslagern auf das Miteinander dort? Wie erlebt die angestammte Bevölkerung die in ihrer Region gestrandeten Migranten? Gibt es Probleme mit den Geflüchteten?

Die gesamte Sicherheitslage muss als chaotisch bezeichnet werden: In der ausweglosen Situation der Geflüchteten kommt es auch zu Gewalt untereinander, manchmal zu Raub, sogar Morden. Zudem ängstigen Hauseinbrüche und Autodiebstahl als mutmaßliche Übergriffe durch Migranten die einheimische Bevölkerung. Die Polizei wird dieser Situation nicht Herr: Dies zeigt sich nicht nur in den Gebieten, wo Flüchtlingslager sind. Migranten sind überall im Land zu Fuß unterwegs: Alle wollen nur weiter in den Westen.
In der serbisch dominierten Entität „Republika Srpska“ ist es verboten, Flüchtlingscamps einzurichten. Migranten, die dort erwischt werden, werden sofort in das Gebiet der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ abgeschoben. Die Idee, dass bosnischen Armeesoldaten der Polizei helfen könnten, wurde vom serbischen Vertreter im bosnisch-herzegowinischen Staatspräsidium abgelehnt, weil er keine bosnische Armee an der serbischen Grenze haben will.

Wie bewerten Sie diese politischen Schwierigkeiten?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein Landesteil dem anderen Migranten zuschiebt. In einer Region, die noch immer unter den Folgen des Jugoslawienkrieges der 90-er Jahre leidet und wo gegenseitige Beschuldigungen für die damaligen Ereignisse statt versöhnlichen Miteinanders alltäglich sind, macht ein Land dem anderen Schwierigkeiten und benutzt die Migranten dabei als Mittel. Von der bosnischen Bevölkerung wird die EU beschuldigt, dass sie massiv Migranten in Bosnien und Herzegowina ansiedelt werden, damit Westeuropa sich — bei Bedarf — billige Arbeitskräfte holen kann.

Was belastet das Land zusätzlich zu der von Ihnen aktuell beschriebenen Not der erneut über die „Balkanroute“ Geflüchteten?

Zur aussichtslosen Stimmungslage in Bosnien und Herzegowina gehört es zudem vor allem, dass weiterhin immer mehr Einheimische ihrer Heimat den Rücken kehren und die Regierung nichts gegen diesen Trend unternimmt. Unser Land blutet aus.

Was wünschen Sie sich für Ihr Land?

Ich wünsche mir, dass die Regierungen im Nordwesten Europas und in Deutschland Druck auf die bosnisch-herzegowinische Regierung ausüben, damit in unserem Land mit den Migranten besser umgegangen wird. Selbstverständlich sollten die Politiker noch viel in den Herkunftsländern der Geflüchteten tun, damit dort die Lebensbedingungen verbessert werden. Wichtig wäre es mir, unsere Hilfe in den Flüchtlingslagern auch selbst koordinieren zu dürfen. Bislang erzwingt die durch die Vereinten Nationen legitimierte Internationale Organistion für Migration (IOM) die alleinige Verteilung jeglicher Hilfsgüter und Logistik.

Renovabis danke ich für die seit Jahren stetige Mitsorge um die Flüchtlinge entlang der Balkanroute und bei Bistümern und Caritasnetzwerken. Nur mit dieser finanziellen Hilfe aus Deutschland können unsere Projektpartner den bei uns gestrandeten Migranten helfen.

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Inhalt erstellt: 20.12.2019, zuletzt geändert: 20.12.2019

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