Jaroslav Rudis
Jaroslav Rudis
Quelle: Barbara Breuer, n-ost
10.01.2018 – Tschechien

Komödie mit Klappspaten

Ein Interview von Martin Becker mit dem tschechischen Schriftsteller Jaroslav Rudiš über die Post-Havel-Ära in Tschechien, die politische Kultur des Landes und das Vergnügen, auf einer Liste zu stehen, die kritische Tschechen als „Kaffeehausintellektuelle“ und „Havloide“ beschimpft.

Ein Interview von n-ost Korrespondent Martin Becker, Prag

Sie leben und schreiben mittlerweile vor allem in Berlin und haben somit eine gewisse Distanz zu Ihrem Heimatland: Machen Sie sich manchmal Sorgen, wenn Sie aus der Ferne in Richtung Tschechien schauen?
Dieser Abstand ist mir schon wichtig, aber der Abstand zu beiden Ländern. Das hilft mir, die ganze Situation mit einer gewissen humoristischen Distanz zu betrachten. Tschechien ist wirklich ein kleines Land mit einer Prager Burg, die einfach viel zu groß ist für den Präsidenten. Denn es ist schon spannend, was unser Staatspräsident Miloš Zeman gerade macht: Wie er sich einmischt, wie er regiert, wie er sich gewandelt hat von einem überzeugten Europäer, der er noch vor ein paar Jahren war, zu einem bizarren Nationalisten und Populisten. Ich betrachte das alles als eine kleine tschechische Komödie.
Viele Intellektuelle waren von den Ergebnissen der Parlamentswahl im Herbst regelrecht geschockt – wie ging es Ihnen, als Sie die ersten Zahlen sahen?
Ich war nicht so schockiert, ich war nur enttäuscht darüber, wie man mit einer Politik der Angst gewinnen kann. Das ist für mich ein Rätsel. Diese Populisten sind Händler der Angst. In Tschechien ist das absolut zugespitzt: Die Rechten, aber auch einige Politiker der Mitte, haben Angst vor Flüchtlingen und Angst vor dem Islam. Wir haben in diesem Jahr meines Wissens nur zwölf Migranten aufgenommen. Das ist ziemlich wenig für ein Land, dem es so gut geht, das in der Mitte Europas steht – und das sich, wie auch andere mitteleuropäische Länder, vielleicht in irgendeiner komischen Kellerecke verstecken möchte in der Hoffnung, dass wir mit der Migrationskrise nichts zu tun haben werden. Aber wir müssen uns damit befassen. Wir sind wirklich kein armes Land mehr und tragen auch einen Teil der Verantwortung dafür, wie es dieser Welt geht.
Schaut man zurück, dann scheint die tschechische Politik seit dem Ende der Ära von Václav Havel nahezu permanent im Chaos zu stecken. Woran liegt das?
Die ganzen Neunziger waren eigentlich schon Chaos. Dieser wilde Kapitalismus, der nicht zu bremsen war, dieser Hardcore-Kapitalismus. Diese starke Lektion, dass Demokratie und Freiheit nicht gleichbedeutend sind mit Kapitalismus. Das war schon sehr spannend zu beobachten und zu erleben. Immer wieder wurde das Land danach von allen möglichen Korruptionsskandalen geplagt, und das dauert an. Es gibt natürlich immer Politiker wie Havel, die dagegen steuern, was mich sehr freut. Ich habe überhaupt nicht die Hoffnung in die Demokratie verloren.
Wirtschaftlich könnte es dem Land kaum besser gehen – und die Angst vor Migrantinnen und Migranten ist quasi reine Fiktion, weil es schlichtweg kaum Flüchtlinge in der Tschechischen Republik gibt. Woher kommt Ihrer Meinung nach diese allgegenwärtige Unzufriedenheit?
Diese Unzufriedenheit kommt in einem Moment, wo es uns eigentlich so gut geht. Natürlich, die Leute verdienen nicht so viel wie in Deutschland oder Österreich, obwohl sie die gleiche Arbeit machen, letztlich sogar für dieselben Unternehmen. Aber die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie. Alle Firmen suchen Leute. Und trotzdem: Wenn man in der Kneipe sitzt und ein Bier trinkt, dann kommen einfach die Ängste der Menschen raus. Vielleicht haben sie wirklich Angst, dass ihnen weggenommen wird, was sie haben – wie es in der Geschichte schon mehrmals passiert ist. Aber diese Angst ist halt irrational.
Anhänger der Havel-Ideen und Befürworter einer multikulturellen und liberalen Gesellschaft werden in letzter Zeit mitunter als „Kaffeehausintellektuelle“ oder „Havloide“ beschimpft – hat sich das gesellschaftliche Klima wirklich so verändert?
Ich mache mich ein wenig darüber lustig. Ich stehe auch auf so einer Liste von sogenannten Havloiden und Gutmenschen eines faschistischen Politikers. Einerseits ist das unangenehm, andererseits habe ich mich aber auch gefreut: Es ist einfach eine schöne Liste, viele Freunde von mir sind dabei, viele Intellektuelle, viele Filmemacher, Schriftsteller und Kulturschaffende. Es gibt natürlich auch die Havel-Anhänger und moderaten Politiker, die wiederum über die andere Seite schimpfen. Es ist schwierig, aber ich versuche, auch mit diesen Leuten zu sprechen, beispielsweise über die irrationalen Ängste, die man zu hören bekommt.
Staatspräsident Miloš Zeman trat häufig als polternder und polarisierender Provokateur auf. Nach all seinen verbalen Ausfällen während seiner Amtszeit: Warum halten die Tschechinnen und Tschechen ihn überhaupt noch für wählbar?
Eins muss man Zeman lassen: seine Volksnähe. Er und auch Andrej Babiš haben die ganz normalen Menschen angesprochen. Keiner hat das so intensiv vor der Wahl gemacht wie Babiš: Er war ständig unterwegs, hat sich mit den Leuten getroffen und über ihre Ängste und Sorgen gequatscht. Klar, immer hat man ein wenig geschimpft über die EU und die Welt. Deshalb bleibt auch jemand wie Zeman für viele Leute wählbar: Weil es immer angenehm ist, etwas auf Andere schieben zu können. Das haben wir öfters in der Geschichte schon gemacht. Alles, was nicht funktioniert, schieben wir gerade auf das böse Brüssel. Damit machen wir es uns aber sehr einfach.
Den Umfragen nach scheint eine Wiederwahl von Miloš Zeman fast nur noch Formsache zu sein – wie wird er das Land verändern, und welchen Einfluss könnte das auf Europa haben?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Land trotz allem auf einem europäischen Kurs bleibt. Das hat man ja sogar bei der Wahl in Österreich gesehen, wo selbst die FPÖ eingeknickt ist und sich für einen europäischen Kurs entschieden hat. Und auch Babiš, der nicht mit EU-Kritik gespart hat, bekennt sich zu Europa. Außerdem ist er Unternehmer, er kann sich auch ausrechnen, wie es ohne die EU funktionieren oder eben nicht funktionieren würde.
Sie selbst haben den klassischen Typus des Wutbürgers schon Jahre vor dem Erfolg der Populisten in Tschechien beschrieben: In Ihrem Roman „Nationalstraße“ geht es um einen Schläger aus einer Prager Plattenbausiedlung, der wie ein Rechter redet, aber von sich behauptet, natürlich keiner zu sein. Sein Motto: Ich habe nichts gegen Fremde, so lange sie uns in Ruhe lassen. Haben Sie damit einen gewissen Zeitgeist vorweggenommen?
Das ist ein schöner Zufall. Oder ein schlechter Zufall. Ich habe diesen Typen tatsächlich mal getroffen, und er hat mir einfach seine Lebensgeschichte erzählt. Ich habe das aufgeschrieben und einige Dinge dazu erfunden. Dass das Buch jetzt auch in deutschen Theatern gezeigt und verfilmt wird, freut mich natürlich. Das Thema ist aber nicht neu: Mit Fremdenfeindlichkeit, Abschottung und Ängsten haben wir schon lange zu kämpfen. Ich bin in einem Land aufgewachsen als Kind und als Teenager, das völlig von der Welt abgeschottet war. Ein sehr homogenes Land. Die Juden wurden von den Nazis umgebracht, die Deutschen wurden dann vertrieben – und plötzlich waren wir ganz allein in Städten wie Prag, Brno oder Liberec, die eigentlich immer von mehreren Seiten geprägt worden waren. Und aus dieser Einsamkeit kommen vielleicht auch die Ängste und Vorbehalte.
Sie leben derzeit in Tschechien und Deutschland – und die Gemeinsamkeit ist schon erstaunlich: In beiden Ländern wurde im Herbst gewählt, und hier wie dort holpert es mächtig bei der Regierungsbildung – für welches Land sind Sie optimistischer, wenn Sie auf die Zukunft schauen?
Ich bin für beide Länder sehr optimistisch. Ich habe Geschichte studiert, ein großes Thema in allen meinen Büchern und in meinem Schaffen. Deshalb weiß ich, dass man das nicht trennen kann. Es gibt nicht nur die Geschichte der Tschechoslowakei oder von Österreich oder von Deutschland. Es gibt auch keine nur deutsche oder österreichische oder polnische oder tschechische oder slowakische oder holländische Gegenwart, das geht nicht. Es gibt nur eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft. Ich male mir da vielleicht eine zu schöne Zukunft für Mitteleuropa aus. Aber das lasse ich mir auch nicht wegnehmen von den Superrechten. Die sagen: Wir holen uns unser Land zurück. Aber verdammt: Das ist auch mein Land. Das ist auch das Land von vielen anderen Menschen. Und das ist auch unser Europa. Und das dürfen wir überzeugten Europäer uns nicht wegnehmen lassen von irgendwelchen Klappspaten.

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Inhalt erstellt: 10.01.2018, zuletzt geändert: 12.02.2019

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