Die Teilnehmenden der Vollversammlung des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel waren (v.l.n.r.): Eleonore Broitzmann, Juliane von Krause, Simon Korbella, Monika Cissek-Evans, Kerstin Neuhaus, Burkhard Haneke und Susanne Schmid. Corona-bedingt konnten weitere Experten/innen nur telefonisch zugeschaltet werden.
Die Teilnehmenden der Vollversammlung des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel waren (v.l.n.r.): Eleonore Broitzmann, Juliane von Krause, Simon Korbella, Monika Cissek-Evans, Kerstin Neuhaus, Burkhard Haneke und Susanne Schmid. Corona-bedingt konnten weitere Experten/innen nur telefonisch zugeschaltet werden.
Quelle: Hanns-Seidel-Stiftung
06.11.2020 – Corona

Vollversammlung zur Situation von (Zwangs-)Prostituierten in Zeiten von Corona

Die Vollversammlung des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel befasste sich mit den Folgen der Corona-bedingten Bordellschließungen in Deuschland. Die meisten Prostituierten sind in ihre Herkunftsländer zurückgefahren, vor allem nach Rumänien, Bulgarien oder Ungarn.

Eigentlich sollte das 20-jährige Bestehen des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel am 16.10.2020 im Konferenzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung groß gefeiert werden. Leider musste die Veranstaltung Corona-bedingt auf den 28.04.2021 verschoben werden. Nichtsdestotrotz organisierte die Stiftung am 16.10.2020 die Vollversammlung der Mitglieder des Aktionsbündnisses mit dem Themenschwerpunkt Corona. Ziel war es, zusammen mit Vertretern von Polizei, Kreisverwaltungsreferat und Fachberatungsstellen die durch Corona veränderte Situation von (Zwangs-)Prostituierten in München zu beleuchten.

Die Vortragenden waren:

  • Monika Cissek-Evans, Leiterin der Fachberatungsstelle JADWIGA München, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel

  • Bernhard Feiner, Erster Kriminalhauptkommissar, Polizeipräsidium München, Kommissariat 35

  • Renate Hofmann, Fachberatungsstelle SOLWODI Bad Kissingen, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel

  • Alain Langefeld, Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat, Sachgebietsleitung Anmeldungen nach Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG)

  • Kerstin Neuhaus, lightup Germany, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel, Mitarbeiterin der Hanns-Seidel-Stiftung

  • Adina Schwartz, Fachberatungsstelle JADWIGA München

Illegale Prostitution gefährdet den Schutz der Frauen

Ein Bericht von Dr. Susanne Schmid, Hanns-Seidel-Stiftung

Viele Prostituierte haben aufgrund der Corona-bedingten Bordellschließungen im März 2020 ihre Arbeit und Unterkunft verloren. 85-90% der Frauen sind aufgrund der Grenzschließungen in ihre Herkunftsländer zurückgefahren, vor allem nach Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. 10-15% der ausländischen Prostituierten sind in München geblieben, durften jedoch nicht mehr arbeiten. Ein Zimmer im Bordell kostet 100-150€ Miete pro Tag. Aufgrund der Notlage, ließen die meisten Bordellbetreiber die Frauen kostenlos in den Bordellen wohnen und verpflegten sie. Viele der Prostituierten arbeiteten jedoch nebenbei illegal in Hotelzimmern und Privatwohnungen.

„In legalen Bordellen sind keine Zuhälter zugelassen, aber in den illegalen Bordellen waren Zuhälter häufig anzutreffen“, so Bernhard Feiner, Erster Kriminalhauptkommissar am Polizeipräsidium München. Die Münchner Polizei hatte in dieser Zeit vermehrt Einsätze wegen illegaler Bordelle u.a. im Sperrbezirk.

Nachdem den Klagen von Betreibern gegen die Bordellschließungen stattgegeben wurde, öffneten Ende Juni 2020 viele Bordelle wieder. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Bordellöffnung bestätigt. 80-85% der Prostituierten kamen zurück in die Etablissements, ein Teil der Frauen verblieb jedoch in der Illegalität. - „Illegale Prostitution gefährdet den Schutz der Frauen!“, unterstrich Feiner. Die Frauen sind den Zuhältern stärker ausgeliefert. Die Polizei hat keinen Zugang zu den Prostituierten und erfährt nichts über ihren Aufenthalt und ihre Arbeitsbedingungen. Der Personaleinsatz der Ermittlungsbehörden im Bereich illegaler Prostitution ist deswegen höher und die Strafverfolgung wird erschwert.

Mit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) besteht seit 1. Juli 2017 für Prostituierte eine Anmeldepflicht bei der Stadt. In Deutschland waren Ende 2019 rund 40.400 Prostituierte bei Behörden angemeldet, in München waren es ca. 2.500. 85% der Prostituierten in München haben Migrationshintergrund, zumeist einen osteuropäischen. 2019 gab es beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) rund 1.040 Anmeldungen und Verlängerungen des Prostitutionsausweises. Vom Januar bis Oktober 2020 waren es rund 500. Aufgrund der Corona-Beschränkungen bestand jedoch vier Monate keine Möglichkeit der Anmeldung, mittlerweile werden wieder mehr Frauen vorstellig.

Zwangsprostitution bekämpfen

Der ein- bis zweistündige Anmeldetermin beim KVR beinhaltet ein Beratungs- und Informationsgespräch sowie die Ausgabe von Flyern der Fachberatungsstellen. Laut Alain Langefeld vom KVR der Landeshauptstadt München suchen die Mitarbeiter beim Gespräch nach Anhaltspunkten für Zwangsprostitution. In solchen Fällen werden die Fachberatungsstellen hinzugezogen und die Polizei informiert. Seit Juli 2017 haben sich 4.800 Prostituierte beim KVR angemeldet, 150 galten als Verdachtsfälle von Zwangsprostitution.

Monika Cissek-Evans, Leiterin der Fachberatungsstelle JADWIGA München unterstrich die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen JADWIGA, dem KVR und der Polizei: „Bisher haben 15 Frauen Anzeige erstattet, 21 Frauen beantragten Rückkehrhilfe“. Sie verwies diesbezüglich auch auf die bessere finanzielle und personelle Ausstattung ihrer Fachberatungsstelle: „Vor 20 Jahren befassten sich zwei Halbtagskräfte mit 40 Fällen, 2019 arbeiteten 10 Mitarbeiterinnen an 325 Fällen der Zwangsprostitution.“

Über ein Drittel der in Deutschland gemeldeten Prostituierten stammen aus Rumänien. Der Blick richtete sich daher auf das besondere Schicksal von osteuropäischen Zwangsprostituierte während der Corona-Lockdowns. „Während außereuropäische Klientinnen im Asylverfahren Unterkunft, Verpflegung und Unterstützung erhielten, waren die osteuropäischen Klientinnen auf die Fachberatungsstellen angewiesen“, führte Adina Schwartz von JADWIGA aus. Die Organisation hat 48 Frauen aus Osteuropa unterstützt, indem sie zusammen mit IOM Rückführungen organisiert hat oder die Unterbringung in München sicherstellte.

Wegen Corona: weniger Spenden, mehr Aufwand

Die Corona-Pandemie bedeutete für die Fachberatungsstellen einen hohen personellen und finanziellen Mehraufwand: Mehrausgaben u.a. für Schutzmasken, bei geleichzeitigem Rückgang der Spenden. Die Fachberatungsstelle SOLWODI musste Kurzarbeit im Verwaltungsbereich einführen. Die tägliche Arbeit wurde durch die Corona-Beschränkungen erschwert: „Die Abläufe waren verlangsamt. Bei den Behörden musste mehrfach nachgehakt werden“, so Renate Hofmann von SOLWODI. Es gab Verzögerungen bei der Antragstellung und beim Antragsbeschluss. Die Schutzwohnungen waren durchgehend geöffnet, die Neuaufnahme von Schutzbedürftigen war jedoch kompliziert. Der Beziehungsaufbau zu den Frauen war schwieriger und der Betreuungsaufwand höher. Für die Kinder der Klientinnen waren der Wegfall des Tagesrhythmus, die fehlende technische Ausstattung und die Überforderung der Mütter belastend. Bei den betreuten Frauen löste Corona große Unsicherheit aus, doch nach den Lockerungen vereinfachte sich die Situation: Hausbesuche, Termine in Gemeinschaftsunterkünften und begleitete Behördengänge waren wieder möglich.

Anfang November müssen die Bordelle Corona-bedingt erneut schließen. Die Prostitution wird sich weiter in die Illegalität verlagern: eine Gefahr für die Frauen und für den Infektionsschutz. Einige Frauen jedoch werden auf ihre prekäre Situation aufmerksam machen können und Unterstützung von Fachberatungsstellen, Polizei und KVR erhalten.

Premiere: Videotipp zur Loverboy-Masche

Das neue Video von lightup Germany, der Jungen Akademie und Kerstin Neuhaus über die Loverboy-Masche wurde bei der Vollversammlung gezeigt. Es erzählt die Geschichte von Lily, die Opfer eines Loverboys wird.

Inhalt erstellt: 06.11.2020, zuletzt geändert: 12.11.2020

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