Im Rahmen der Podiumsdiskussion zum Recherchepreis Osteuropa, beim goEast-Filmfestival in Wiesbaden, stand die Berichterstattung über Osteuropa im Mittelpunkt. Mit dabei waren u.a. (v.l.n.r.) Daniel Brössler (SZ), Dr. Anneke Hudalla (n-ost), Gemma Pörzgen (Chefredakteurin Zeitschrift "Ost-West. Europäische Perspektiven") und Silvia Stöber (tagesschau.de).
Im Rahmen der Podiumsdiskussion zum Recherchepreis Osteuropa, beim goEast-Filmfestival in Wiesbaden, stand die Berichterstattung über Osteuropa im Mittelpunkt. Mit dabei waren u.a. (v.l.n.r.) Daniel Brössler (SZ), Dr. Anneke Hudalla (n-ost), Gemma Pörzgen (Chefredakteurin Zeitschrift "Ost-West. Europäische Perspektiven") und Silvia Stöber (tagesschau.de).
Quelle: Simon Korbella
Recherchepreis Osteuropa – Podiumsgespräch in Wiesbaden

überSehen – Osteuropa in den Medien zwischen Desinteresse und Klischee

Mit dem Krieg in der Ukraine stieg auch das Bedürfnis nach Berichterstattung aus Osteuropa. Dies war in der Vergangenheit in den deutschen Medien selten der Fall. In einem Podiumsgespräch zum Recherchepreis Osteuropa wurden die Chancen und Herausforderungen dieser Entwicklung in den Blick genommen.

Mit dem Krieg in der Ukraine ist Osteuropa in den Fokus der Medien hierzulande gerückt. Über das Kriegsgeschehen und die Situation in der Ukraine wird aktuell von zahlreichen Journalistinnen und Journalisten berichtet. Für Silvia Stöber (tagesschau.de) ist klar: „Die Osteuropa-Berichterstattung steht im Moment vor einer enorm großen Herausforderung und vor einer Chance. Der Bedarf ist aktuell so groß, dass wir zusehen müssen, dass wir es überhaupt schaffen ihn zu decken. Dennoch gilt es die Komplexität im Blick zu behalten und nicht in Kampagnenjournalismus oder eine rein emotionale Berichterstattung zu verfallen. Aber wir haben jetzt eine riesige Aufmerksamkeit, die es in den vergangenen Jahren so nicht gab.“

Im Rahmen der Podiumsdiskussion zum Recherchepreis Osteuropa, beim goEast-Filmfestival in Wiesbaden, stand die Berichterstattung über Osteuropa im Mittelpunkt. Mit dabei waren u.a. Silvia Stöber (tagesschau.de), Daniel Brössler (SZ), Gemma Pörzgen (Chefredakteurin Zeitschrift "Ost-West. Europäische Perspektiven") und Dr. Anneke Hudalla (n-ost). Alle Beteiligte waren sich über die aktuelle Ausnahmesituation einig. In den vergangenen Jahren allerdings und auch dabei herrschte Einigkeit war das Bild ein anderes. Die Berichterstattung über Osteuropa in den deutschen Medien war oftmals nur spärlich zu finden. „Das liegt zum einen an den bestehenden Prioritäten“, sagt Gemma Pörzgen, „aber auch an der Verteilung von Auslandskorrespondenten.“ Man habe das zu Beginn des Ukraine-Krieges gesehen, viele Medien und Sender, auch die Großen, hätten gar keine Journalisten vor Ort gehabt. In einigen Fällen werden dafür auch bürokratische Hürden und Hindernisse verantwortlich gemacht und deshalb werde versucht lieber mit freien Mitarbeitern zu arbeiten, die dann in die entstehende Lücke springen würden. Hier werden die Prioritäten dann sehr deutlich.

Zuspitzung von Personal und Ressourcen

Eine zunehmende Zuspitzung an Personal und Ressourcen, die für die Osteuropa-berichterstattung zur Verfügung stehen, konstatiert auch Daniel Brössler von der Süddeutschen Zeitung. Er hält es für falsch, die West und Ost-Berichterstattung deshalb grundsätzlich gegeneinander auszuspielen und das eine auf Kosten des anderen zu lassen. Aber „der Druck mit immer weniger Mitteln die Auslandsberichterstattung zu bestreiten wird immer größer“, so Brössler. Er beobachte auch eine zunehmende Fixierung auf die Quoten, die sich auch auf die „früheren“ Printmedien, die ja mittlerweile auch alle Onlinemedien seien, übertrage. Es werde hier sehr genau darauf geschaut und man müsse tatsächlich sehen, dass z.B. die Berichterstattung über Donald Trump unglaublich stark von den Leserinnen und Lesern nachgefragt wurde. Während über Russland vielleicht eher das Bild – das natürlich nicht stimmt – vorherrschte, hier ändert sich nichts und es bleibe alles wie es ist.

Bilder

Neben den Diskutanten auf dem Podium waren auch die beiden Siegerteams der vergangenen Jahre in Wiesbaden mit dabei und stellten ihre Rechercheprojekte vor. Ingrid Gercama und Nathalie Betrams waren dazu 2020 für ihr Projekt in Georgien mit dem Recherchepreis Osteuropa ausgezeichnet worden. Sie hatten über die prekäre Arbeitssituation von jungen Frauen berichtet, die dort Schneeglöckchen für den europäischen Markt pflücken. „Jedes Jahr“, sagt Ingrid Gercama, „gehen fünfzehn Millionen wilder Schneeglöckchenzwiebeln von Georgien an niederländische Importeure und werden von da aus an Gartencenter in ganz Europa verkauft. Der Handel ist viel Geld wert. Für einen 30 Kilo Sack erhält eine Pflückerin in Georgien umgerechnet 14 Euro. Im Gartencenter ist diese Menge dann 3500 Euro wert, das ist eine Preissteigerung von 25.000 Prozent.“

Matthias Schumann und Stefan Schocher hatten den Recherchepreis 2021 gewonnen. Sie stellten ihr Projekt aus der Republik Moldau vor. Sie legten den Schwerpunkt auf die Frage, wie die Pandemie das Leben der Menschen in einem Land wie Moldau verändert. Moldau hat neben schwachen staatlichen Strukturen, verbreiteter Korruption, den Folgen der massenhaften Abwanderung seiner Bürger und dem schwierigen Umgang mit der abtrünnigen Region Pridnestrovie auch mit der Corona Pandemie zu kämpfen. Sie hat neue Konfliktfelder eröffnet und bestehende Gräben vertieft. Auch die Frage nach der Verteilung der Impfstoffe hatten die beiden Journalisten im Blick. Dabei habe sich gezeigt, betonte Schocher: „Die Corona-Impfstoffverteilung ist, wenn nicht zu einer geopolitischen Waffe, so doch zumindest zu einem Werkzeug der internationalen Politik geworden. Vakzine sind in der Republik zum Politikum geworden.“

Grund zur Hoffnung, aber auch Grund zur berechtigten Sorge

Am Ende des Abends blieb festzuhalten, dass die weitere Entwicklung der Osteuropaberichterstattung in Deutschland offen bleibt. Es gäbe definitiv Grund zur Hoffnung so, die Moderatorin Dr. Anneke Hudalla vom Journalistennetzwerk n-ost, so zum Beispiel das nun gewachsene Interesse, aber auch Grund zur berechtigten Sorge, denn die Nachhaltigkeit dieses Interesses und die strukturellen Schwierigkeiten könnten schnell auch wieder umschlagen. Pétur Thorsteinsson, Geschäftsführer vom evangelischen Hilfswerk Hoffnung für Osteuropa und Matthias Dörr, Pressesprecher vom katholischen Osteuropahilfswerk Renovabis, bedankten sich im Namen der ausschreibenden Organisationen des Recherchepreises Osteuropa. Die lebhafte Diskussion und die wichtigen Projekte der ausgezeichneten Siegerteams habe gezeigt, dass der Preis als Hilfe und Ansporn in dieser schwierigen Situation einen wichtigen Beitrag leisten kann um die Berichterstattung aus Osteuropa zu stärken.

Inhalt erstellt: 10.05.2022, zuletzt geändert: 17.01.2023

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