Von einem Aussichtspunkt kann man den Fortschritt der Bauarbeiten an der Krimbrücke beobachten.
Quelle: Florian Bachmeier
28.11.2018 – Ukraine

Machtspiele aus Stahl und Beton

„Putins Brücke“: Seit Mai verbindet sie das russische Festland mit der illegal annektierten Krim und festigt Russlands Machtanspruch auf die Halbinsel und die angrenzenden Meere. Wie reagieren die Menschen auf die neue Landverbindung, die es eigentlich gar nicht geben dürfte?

Dieser Beitrag stammt aus der gemeinsamen Artikelreihe "Europäische Verständigung, Dialog und Brückenbau" von Renovabis und n-ost. Sie handelt von Menschen, die trotz widriger Umstände und Konflikte im Osten Europas auf Verständigung setzen und aufeinander zugehen – aber auch über solche, die scheinbar kapituliert haben.

Ein Bericht von n-ost-Korrespondentin Elisabeth Bauer

Kertsch (n-ost) – Ein neunzehn Kilometer langes silbernes Band spannt sich über die Meerenge von Kertsch, massive Stahlträger bohren sich bis zu fünfzig Meter tief in den Meeresgrund. Die Krim-Brücke ist die Antwort des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Krim-Frage: sie zementiert den neuen, international nicht anerkannten russischen Status quo der Halbinsel.

Getragen wird die Mega-Konstruktion aber nicht nur von Stahl und Beton. Erst die diskursive Stütze – das verworrene Konglomerat aus politischen Versprechen und Hoffnungen der Menschen – verleiht der Brücke ihren ikonischen Glanz. Dabei dürfte es sie, genauso wie die Grenze im Westen der Halbinsel, gar nicht geben: Die Krim-Annexion und das Referendum, das im Schatten der Maidan-Proteste 2014 auf der Halbinsel abgehalten wurde, gelten als völkerrechtswidrig.

Bisher war der Fährhafen von Kertsch die einzige Möglichkeit, auf direktem Wege von Russland auf die Krim überzusetzen. Unter den traditionellen Fährbetrieb der Hafenstadt, soll aber nun ein Schlussstrich gezogen werden. Das Hafengelände wirkt wie ausgestorben, doch Anna, die junge Pressesekretärin, führt noch einmal über das Betriebsgelände. „Im Sommer haben wir noch 18.000 Passagiere am Tag befördert“, sagt sie. „Jetzt ist die Brücke die Hauptverbindung.“

"Mit dem Brückenbau wird Putin in die Geschichtsbücher eingehen"

Unweit vom Strand lädt ein Rentnerpaar in ihr Haus am Asowschen Meer. Hühner begrüßen die Besucher, Weinreben umranken die Mauern. Nina und Aljoscha sind Putin-Anhänger, sich mit ihnen über die Krim-Frage zu unterhalten, ist müßig – jeden Abend schauen sie das propagandagetränkte Staatsfernsehen. „Mit dem Brückenbau wird Putin in die Geschichtsbücher eingehen“, sagt Nina, während Aljoscha den Gästen hausgemachten Wein einschenkt. Auf dem Etikett zu lesen: „Krim Nasch“ - Russisch für „Unsere Krim“.

Geht man dieser Oktobertage an den Stränden von Kertsch spazieren, kann man Fischerboote beobachten und Dutzende Frachtschiffe. Außerdem im Sichtfeld: schwarze Militärschiffe, die sich wie Fremdkörper in die Idylle schieben. Der ruhige Meerblick trügt, denn auf dem Wasser spielt sich Geopolitik ab – live.

Seit Juli kontrolliert der russische Grenzschutz verstärkt ukrainische Frachter, ihre Besatzungen warten oft mehrere Tage, um die neuen Brückenbögen passieren zu dürfen. Auch die Ukraine nahm im März ein Fischerboot mit zehnköpfiger Besatzung fest. Hier, auf umstrittenen Gewässern, die laut eines 2003 verabschiedeten Gesetzes von der ukrainischen und russischen Marine gleichermaßen genutzt werden dürfen, kommt es immer wieder zu beidseitigen Provokationen.

Obwohl Aljosch von der neuen Brücke begeistert ist, fährt er mit den deutschen Journalisten erstmals auf die andere Seite.
Quelle: Florian Bachmeier
"Als die Krim der Ukraine geschenkt wurde, war das , als hätte man Russland einen Arm abgeschnitten - jetzt sind wir wieder zu Hause.", meint die russische Patriotin Nina.
Quelle: Florian Bachmeier

Gleiche Vorwürfe von beiden Seiten

Am 25. November hat es erneut einen Vorfall nahe der Krim-Brücke gegeben: Der russische Grenzschutz verweigerte drei ukrainischen Marineschiffen die Durchfahrt und soll Waffengewalt eingesetzt haben. Einige ukrainische Seemänner sollen dabei verletzt worden sein. Die Reaktion aus Kiew: Präsident Petro Poroschenko kündigte an, das Kriegsrecht einzuführen.

Kriegsrecht bedeute aber nicht Kriegserklärung, sagte Poroschenko am Montag. „Wir rufen das Kriegsrecht allein deshalb aus, um unser Land zu schützen.“ Am späten Montagabend stimmten 276 von 330 Abgeordneten für die Erklärung des 30-tägigen Kriegsrechts, das am 28. November um 9 Uhr in elf Regionen in Kraft treten und die Regierung mit besonderen Vollmachten ausstatten soll: Schutzmaßnahmen von Grenze und Infrastruktur, Reservisten-Einzug, Organisation der Luftverteidigung.

In einer Stellungnahme des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB hieß es, die ukrainischen Militärschiffe hätten sich unrechtmäßig auf russischen Gewässern aufgehalten. Bei dem Vorfall handele es sich um eine „Provokation“ - die Ukraine habe die Souveränität des „russischen“ Territoriums, sowie internationale Gesetze verletzt. Die Ukraine und viele Stimmen der internationalen Gemeinschaft hingegen, machen Russland den gleichen Vorwurf.

"Die großen Fischerboote der Ukraine haben das Asowsche Meer leergefischt"

An den Ufern des kleinen, salzwasserarmen Meeres liegen die Hafenstädte Berdjansk, Mariupol, das russische Rostow am Don – und das Fischerdorf Jurkinje, bei Kertsch. Sieben Fischer der dörflichen Brigade sind am Strand mit dem Ausbessern ihrer Netze beschäftigt. „Die großen Fischerboote der Ukraine haben das Asowsche Meer leergefischt“, meint einer von ihnen, Wassili.

Auch Kertsch hatte früher eine starke Fischindustrie – davon sei nicht viel geblieben. „Der Fischerhafen von Kertsch verfügt zwar noch über Schiffe für den industriellen Fischfang, aber die großen Linien wurden verkauft“, meint der Fischer. Die russische Fischeraufsicht kontrolliert nun das Gewerbe: Jeder Fischfang muss angemeldet werden.

Und was sagt Wassili, der Fischer, zur neuen Brücke? „Sila!“, ruft er kämpferisch – das russische Wort für Kraft und Stärke – und reißt eine geballte Faust in die Luft. Er strahlt. Abnehmen kann man ihm die Siegesgeste aber nicht. Ein zweites „Sila“ auf die Frage, ob sich sein Leben nach der Krim-Annexion verändert habe. Wassili näht gerade an einem Netz. Teuer war es, gekauft in Krasnodar, auf der anderen Seite. „Bald fahren wir dem Brot hinterher“, sagt er lachend, den Sarkasmus in seiner Stimme versucht er gar nicht erst zu verstecken.

Inhalt erstellt: 28.11.2018, zuletzt geändert: 12.02.2019

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