


Freising: Anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte am 10. Dezember richtet das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis einen dringenden Appell an Politik und Gesellschaft. Der wirtschaftliche Wohlstand in Deutschland dürfe nicht auf rechtlichen Grauzonen, prekären Arbeitsverhältnissen und Ausbeutung von Menschen aus Osteuropa fußen.
Renovabis-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Thomas Schwartz warnte vor „Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber den Menschen, die unser Land am Laufen halten“. Es sei besorgniserregend, dass in verschiedenen Branchen Standards akzeptiert würden, die für deutsche Arbeitnehmer undenkbar wären. „Viele Dienstleistungen sind nur verfügbar, weil Menschen – sehr viele von ihnen aus dem Osten Europas – nicht denselben Schutz genießen wie wir. Werden wir unserer ethischen Verantwortung gerecht, wenn wir diese in Anspruch nehmen? Dies müssen wir uns ehrlich fragen.“, so Schwartz.
Auf die konkreten Missstände in der Fleischindustrie und Logistik wies Pfarrer Peter Kossen bei einer Renovabis-Veranstaltung hin. Er kritisierte, dass Deutschland zwar stolz auf seinen Rechtsstaat sei, aber für Arbeitsmigranten faktisch Sonderzonen dulde: „Vieles findet in einem Graubereich statt, in einer Parallelwelt. Das ist nicht zufällig entstanden, das wurde politisch zugelassen.“ Kossen betonte, dass Menschen mit Migrationshintergrund gezielt dort eingesetzt würden, wo Arbeit gefährlich, schwer und unbeliebt sei. „Dafür erhalten sie Niedrigstlöhne und zahlen Wuchermieten. Wir verschleißen Menschen, statt sie zu schützen“, so das Fazit des Sozialpfarrers.
Auch in der häuslichen Pflege sieht Renovabis Handlungsbedarf. Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen durch sogenannte „24-Stunden-Kräfte“ finde oft in einem rechtlichen Unschärfebereich statt. Hunderttausende Osteuropäerinnen leisteten hier Unverzichtbares, doch ihre ständige Verfügbarkeit sei mit regulärem Arbeitsrecht nicht vereinbar. „Wir brauchen hier ehrliche, legale Modelle statt eines stillschweigenden Arrangements mit der Grauzone“, forderte Schwartz.
Mit großer Sorge blickt das Hilfswerk auf den Bereich der sexuellen Ausbeutung. Hier seien Frauen aus Armutsregionen besonderen Gefahren ausgesetzt. Héma Sibi, Direktorin von CAP International, ordnete dies kürzlich auf einer Fachtagung in Berlin ein und widersprach dem Narrativ der Freiwilligkeit: „Wir sprechen bei Prostitution oft von einer ‚freien Wahl‘. Doch wenn wir systemisch hinsehen: Wer sind die Menschen in der Prostitution? Wir sehen, dass es genau jene Frauen sind, die in unseren Gesellschaften am wenigsten eine Wahl haben.“ Sibi verwies darauf, dass in Deutschland über 80 Prozent der Frauen in der Prostitution Migrantinnen seien – das System beute somit gezielt die am stärksten diskriminierten Gruppen aus.
Renovabis ruft den Gesetzgeber dazu auf, diese „Parallelwelten“ aufzulösen. Dies gelte für die Kontrollen in der Fleischindustrie ebenso wie für die rechtliche Absicherung von Pflegekräften. Im Bereich der Prostitution plädiert Renovabis für einen Perspektivwechsel hin zum „Nordischen Modell“, um die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen einzudämmen und Betroffenen echte Ausstiegsmöglichkeiten zu bieten.



