
Vom 9. bis 11. September 2025 fand in Berlin der 29. Internationale Kongress Renovabis statt. Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie aus Deutschland kamen in der Katholischen Akademie Berlin zusammen. Dieser Appell fasst wichtige Impulse und Mahnungen des Kongresses zusammen, die sich auch in der Projektförderung von Renovabis widerspiegeln. Er benennt Konfliktlinien und fordert konkretes Handeln – von Politik, Gesellschaft, Kirche und jeder und jedem Einzelnen.
From 9-11 September the 29th International Congress Renovabis took place in Berlin. Over 200 participants from Central, Eastern, and Southeastern Europe, as well as from Germany, gathered at the Catholic Academy in Berlin. This appeal summarizes key insights and calls from the Congress, which are also reflected in Renovabis’ project work. It identifies areas of conflict and calls for concrete action – from politics, society, the Church, and every single one of us.
Vom 9. bis 11. September 2025 fand in Berlin der 29. Internationale Kongress Renovabis statt. Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie aus Deutschland kamen in der Katholischen Akademie Berlin zusammen.
Unter dem Titel „Unantastbar und verletzlich. Menschenwürde zwischen universellem Anspruch und gesellschaftlichen Konfliktlinien in Europa“ diskutierten die Teilnehmenden aus 26 Ländern über aktuelle Herausforderungen und Spannungsfelder der Menschenwürde in Europa. Damit setzt Renovabis sein Jahresthema und Leitwort der Pfingstaktion „Voll der Würde. Menschen stärken im Osten Europas“ fort. Kongress und Pfingstaktion zeigen gemeinsam: Die Würde jedes Menschen ist Ausdruck seiner Gottebenbildlichkeit – eine Wahrheit, in allen christlichen Traditionen verwurzelt und das Fundament für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Doch sie wird in Europa in vielen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens infrage gestellt, instrumentalisiert oder verletzt.
Dieser Appell fasst wichtige Impulse und Mahnungen des Kongresses zusammen, die sich auch in der Projektförderung von Renovabis widerspiegeln. Er benennt Konfliktlinien und fordert konkretes Handeln – von Politik, Gesellschaft, Kirche und jeder und jedem Einzelnen. Er kann nur einen Teil der vielen Herausforderungen abbilden, denen die Menschenwürde auf unserem Kontinent ausgesetzt ist. Doch er will deutlich machen: Menschenwürde ist keine abstrakte Idee - sie beginnt im Hinsehen, im Urteilen und verlangt konkretes Handeln.
Jeder Mensch hat von Anfang an Würde, weil er Abbild Gottes ist. Sie hängt nicht von Erfolg oder Stärke ab. Doch Menschenwürde ist keine Selbstverständlichkeit: Sie wird durch Gewalt, soziale Ungleichheit und Ausgrenzung bedroht. Wenn der Wert eines Menschen an Leistung und Nutzen gemessen wird, wenn Polarisierung und Entmenschlichung zunehmen, dann zerbricht das gemeinsame Fundament unserer Gesellschaft.
Wir mahnen: Menschenwürde ist der Maßstab für alle Gesetze und für unser Zusammenleben. Die europäische Gesellschaft braucht eine bewusste Rückbesinnung auf die unveräußerliche Würde des Menschen – in Bildung, in sozialem Handeln und im öffentlichen Leben.
Wir rufen jede und jeden auf: Übernehmen wir persönliche Verantwortung für ein menschenwürdiges Miteinander – im Alltag, in der Familie, in der Nachbarschaft, im Beruf.
Wo autoritäres Denken wächst, wird die Menschenwürde oft missachtet – durch Kontrolle, Propaganda oder Demütigung. Demokratie ohne Moral verliert ihr Rückgrat. Gesetze müssen auf dem Fundament menschlicher Würde stehen – getragen von Gewissen, Gemeinsinn und Gewissensfreiheit. Auch Kirchen, Schulen, Zivilgesellschaft und Medien sind Mitträger dieser Kultur.
Wir rufen alle gesellschaftlichen Kräfte auf: Stärken wir gemeinsam die Werte, die unser Zusammenleben tragen – damit ausgehend von der Menschenwürde Recht und Freiheit gestützt werden.
Wir fordern alle politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger in Europa auf: Recht, Politik und gesellschaftliches Handeln müssen die Würde des Menschen ins Zentrum stellen. Bei jeder Verletzung gilt es, gemeinsam dagegen vorzugehen.
Wie wir mit Kranken, Sterbenden, Obdachlosen, Minderheiten, Suchtkranken, Geflüchteten oder Misshandelten umgehen, zeigt, wie ernst wir es mit der Menschenwürde meinen. Ein erschreckendes Beispiel ist die Diskriminierung der Roma-Minderheit, insbesondere im Osten Europas. Wer in Armut, Abhängigkeit oder Isolation gerät, erlebt oft täglich Abwertung. Wo Hilfen fehlen oder gekürzt werden, droht das Vertrauen in unsere Gesellschaft zu zerbrechen.
Wir appellieren an die Politik: Stärken Sie soziale Rechte, investieren Sie in Prävention und Schutzräume und sorgen Sie für menschenwürdige Bedingungen für alle.
Wir fordern jede und jeden auf, allen Menschen mit Respekt zu begegnen – auch wenn diese Begegnungen schwerfallen. Notwendige Distanz darf niemals zu Entmenschlichung führen.
Die aktuelle Debatte um reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin berührt existenzielle Fragen und damit verbundene ethischen Dilemmata. In den europäischen Ländern sind die rechtlichen Regelungen sehr unterschiedlich: von strengen Verboten bis hin zu liberalen Gesetzen – oft aber ohne verpflichtende Beratung oder ausreichende Begleitung. Dabei tritt das Lebensrecht des ungeborenen Kindes vielerorts in den Hintergrund. Der Schutz menschlichen Lebens – vom Beginn bis zum natürlichen Ende – ist Ausdruck unserer Verantwortung vor Gott. Wo Spannungen entstehen, braucht es Räume des Dialogs im Geiste der Liebe, der Wahrheit und der Achtung vor allen Beteiligten.
Wir fordern von der Politik: Den Schutz des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen und zugleich Frauen durch verpflichtende, unabhängige und vertrauliche Beratung zu stärken. Europa braucht Gesetze und Strukturen, die beiden gerecht werden: dem ungeborenen Leben wie der Mutter. Die Debatte um Fortpflanzungsmedizin muss gesellschaftlich breit geführt werden.
Die Frage nach einem würdigen Sterben ist eine der sensibelsten ethischen Debatten unserer Zeit. In vielen Ländern wird assistierter Suizid diskutiert oder legalisiert, während er in anderen tabuisiert wird. Doch Schweigen hilft nicht: Ein würdiges Lebensende zu ermöglichen, ist eine Aufgabe aller europäischen Gesellschaften. Viele Sterbewünsche entstehen nicht allein aus freiem Willen, sondern aus Einsamkeit, Altersarmut, Pflegekrisen oder seelischer Not.
Wir warnen jede und jeden vor einer stillen gesellschaftlichen Akzeptanz des Suizids als Lösung.
Wir fordern von der Politik die Stärkung von Hospizen, Palliativversorgung und seelsorglicher Begleitung. Verbesserung der Prävention, sodass verhindert wird, dass Not und Einsamkeit Menschen in den Tod drängen.
Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung sind schwere Verletzungen der Menschenwürde. Weltweit sind nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 50 Millionen Menschen von moderner Sklaverei betroffen. Armut und andere soziale Missstände in Osteuropa bilden dabei einen Nährboden für Ausbeutung. Viele Frauen aus Osteuropa geraten durch Zwang oder Täuschung in die Prostitution. Experten sprechen von über 150.000 Frauen aus Osteuropa, die in Deutschland ihren Körper verkaufen.
Wir fordern ein grundlegendes Umdenken, nachdem die bisherigen Bemühungen die Situation der Betroffenen zu verbessern, versagt haben. Es braucht die konsequente Bestrafung von Nachfrage und organisierter Ausbeutung nach dem Vorbild des Nordischen Modells. Gleichzeitig müssen die Opfer geschützt, entkriminalisiert und auf ihrem Weg aus der Ausbeutung unterstützt werden. Menschen, die unter Zwang und Gewalt leiden, brauchen Schutzräume, rechtliche Sicherheit und konkrete Hilfen zum Neuanfang. Kein Mensch ist eine Ware.
In ganz Europa erleben Frauen Gewalt und Diskriminierung. Im Jahr 2023 wurde in Europa 2.300 Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet. Häusliche Gewalt und Objektifizierung verletzen die Frauen in ihrer Würde und zerstören Vertrauen. Nur wo Frauen sicher und respektiert leben, kann sich Menschenwürde voll entfalten.
Wir fordern von allen europäischen Gesellschaften und Staaten Prävention und konsequente Strafverfolgung bei jeglicher Gewalt gegen Frauen. Politik, Gesellschaft und Kirchen müssen weiter an Strukturen arbeiten, um Frauen wirksam zu schützen, Wege aus der Gewalt zu eröffnen und Täter konsequent zur Verantwortung zu ziehen.
An den Außengrenzen der Europäischen Union sterben Menschen – darunter Kinder –, weil ihnen Schutz verweigert wird. Pushbacks, überfüllte Lager und blockierte Hilfen treten die Menschenwürde mit Füßen. Die Würde des Menschen endet nicht an Stacheldraht und Grenzzäunen. Europa kann seine humanitäre Verantwortung nicht abwälzen.
Wir fordern von den Verantwortlichen in der EU eine Migrationspolitik, die Leben schützt, faire Verfahren garantiert und Humanität sowie Rechtsstaatlichkeit nicht nur verspricht, sondern sichtbar und wirksam umsetzt – überall dort, wo Menschen Schutz suchen.
Kriege zerstören nicht nur Leben, Häuser und Straßen, sondern auch Gemeinschaften, Vertrauen und die innere Stabilität von Menschen. Der Krieg in der Ukraine zeigt in dramatischer Weise, wie verletzlich die Menschenwürde ist. Humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte müssen immer und überall gelten.
Wir fordern: Ein sofortiges Kriegsende und einen gerechten Frieden. Ein nachhaltiger Wiederaufbau, unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Kirchen, muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen – mit materieller, medizinischer und psychologischer Hilfe, mit wirtschaftlichen Perspektiven, mit dem Wiederaufbau von Gemeinschaften und der Sorge um die geschädigte Umwelt.
Die Kirchen müssen für die Würde jedes Menschen eintreten – mit Demut, im Dialog und durch konkrete Taten. Sie sind nur glaubwürdig, wenn sie selbst ihrer Verantwortung gerecht werden. Aufarbeitung und konsequente Prävention von Missbrauch gehören untrennbar zu ihrem Zeugnis für die Menschenwürde.
Wir fordern, dass die Kirchen konsequent auf Transparenz, Aufarbeitung und Prävention setzen. Sie müssen glaubwürdige Orte der Hoffnung und Stärkung schaffen – für Opfer von Gewalt, für Menschen in Not und für alle, die nach Sinn und Halt suchen. Damit können die Kirchen auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen.
Diese Forderungen greifen nur einen Ausschnitt dessen auf, was die Menschenwürde in Europa heute bedroht. Viele Verletzungen, Herausforderungen und Konfliktlinien bleiben unerwähnt. Doch sie zeigen: Die Bewahrung der Menschenwürde ist eine gemeinsame Aufgabe aller – von Politik, Gesellschaft, Kirchen und jedem Einzelnen.
Renovabis blickt als Hilfswerk besonders nach Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Doch viele dieser Herausforderungen betreffen uns alle. Nur gemeinsam können wir der Menschenwürde in Europa ein glaubwürdiges Gesicht geben – in Verantwortung vor Gott und den Menschen!
Berlin, 11. September 2025
Renovabis – Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa