Unser Bild zeigt eine Karikatur von Thomas Plassmann: Eine Szene auf dem Pausenhof einer Schule, eine Junge deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ein Mädchen und beschwert sich: "Christine-Sophie hat 'Du doofes Gottesebenbild' zu mir gesagt!" Worauf die Lehrerin antwortet: "Wir wollen nach der ersten Stunde 'Menschenwürde' nicht gleich zu viel erwarten."
Karikatur von Thomas Plassmann
Quelle: Thomas Plassmann
22.04.2025 – Jahresthema Menschenwürde

Menschenwürde als gelebte Praxis

Die Menschenwürde in den Fokus zu nehmen - das ist eine Aufgabe für Kitas und Schulen, aber auch für Ausbildungsgänge und Hochschule. Andreas Leinhäupl, Professor für Biblische Theologie in Berlin, erläutert in seinem Essay, warum gerade in Bildungsbereich angesetzt werden muss.

Was die Bewusstseinsarbeit für die Situation der Menschen im Osten Europas betrifft, sollte vor allem im Bildungsbereich angesetzt werden ... und dies geschieht auch. Kitas, Schulen, aber auch Ausbildungsgänge und Hochschulstudien sind zentrale Orte, um das Thema Menschenwürde in den Fokus zu nehmen. An diesen Schaltstellen haben wir vielfältige Möglichkeiten, gemeinsam mit jüngeren und älteren Menschen die Achtung der Menschenwürde und der damit verbundenen Grundsätzen zu verwirklichen und kontinuierlich wachzuhalten. Lassen wir diese Chance nicht liegen!

Vorschläge aus Sicht der angewandten Theologie und Religionspädagogik von Andreas Leinhäupl

Beginnen wir mit einer aktuellen Beobachtung: Wer zu Beginn des Jahres 2025 offenen Auges durch die Hauptstadt Berlin oder auch durch andere Städte gestreift ist, sah hin und wieder an Kirchenmauern ein riesiges Plakat mit der Aufschrift „Menschenwürde – Nächstenliebe – Zusammenhalt. Für alle. Mit Herz und Verstand“. Mit diesem Slogan warben die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland gemeinsam für die Bundestagswahl im Februar 2025. Es ging und geht dabei um Demokratie als wertvolle Form der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Im Mittelpunkt steht der Gedanke, dass Demokratie die Wahrung der Freiheit garantiert und damit die Würde und die Rechte jedes einzelnen Menschen schützt.

Menschenwürde ist im christlichen Sinne aus dem Gedanken der Gottesebenbildlichkeit und der Gleichheit aller Menschen als Kinder Gottes abgeleitet. Diese Würde ist ein Geschenk, das nicht genommen werden kann. Es verpflichtet uns dazu, in Freiheit Verantwortung für die Würde anderer Menschen zu übernehmen und für ihre Rechte einzutreten. Alle Menschen sind zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens und in aller Individualität mit derselben Würde ausgestattet, sie ist universal und
unantastbar. Damit verbunden lassen sich drei besondere Elemente der Menschenwürde auf den Punkt bringen: Beziehung, Gleichheit und Verantwortlichkeit.
Ein Blick in die Welt, zum Beispiel nach Osteuropa, sowie in unsere unmittelbare Umgebung zeigt jedoch, dass die Menschenrechte und die Menschenwürde gerade dort am meisten verletzt werden, wo die Menschen am verletzlichsten sind und den Schutz am dringendsten brauchen.

Welche Bedeutung haben diese Überlegungen für die Praxis? Ich möchte im Speziellen auf die Bereiche Kita und Schule eingehen: Bereits in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und Lehrerinnen und Lehrern spielt das Thema Menschenwürde eine große Rolle. So wird es in den Studiengängen „Religionspädagogik“ oder „Angewandte Theologie“ sowie in Ausbildungsgängen an den Fachschulen für Sozialpädagogik einerseits in den biblischen Modulen ausgiebig vorbereitet. Andererseits wird in den Bereichen „Anthropologie und Ethik“ auf das Ideal der Unantastbarkeit der Würde des Menschen hingewiesen und in diesem Sinne mit den Studierenden sehr konkret und praxisorientiert über die notwendigen Bedingungen gelingenden Menschseins reflektiert. Sowohl die Bildungsprogramme für die Kitas (und zwar gleichermaßen für die konfessionell orientierten wie für die staatlich verorteten) als auch die Rahmenpläne für den Schulunterricht in allen Jahrgangsstufen setzen in verschiedenen Bereichen auf das Stichwort „Menschenwürde“, erläutern die Möglichkeiten und Chancen der entsprechenden Bildungsstrategien und bieten sehr konkrete Handlungs- und Umsetzungsoptionen für das gemeinsame Zusammenleben im oben ausgeführten Sinne.

Gerade mit Blick auf die Menschen in Osteuropa bzw. auf die Menschen, die aus Osteuropa zu kommen und bei uns bleiben, lassen sich hier einige ausgewählte praktische Überlegungen aus dem Blickwinkel der genannten Bildungsbereiche
anschließen:

  • In Kita und Schule geht es darum, Respekt vor der jeweiligen Individualität jedes Einzelnen zu vermitteln, oder sagen wir besser: gemeinsam (er)lebbar zu machen. Das gilt im Übrigen neben den Kindern und Familien auch für die Fachkräfte und das Lehrpersonal.
  • Es geht weiter darum, Kindern und Eltern gerade aus den Ländern Osteuropas Beteiligung und Mitsprache zu ermöglichen, sie bedürfnisorientiert zu betreuen und – wirklich unabhängig von Fähigkeiten oder Herkunft – gleichwertig zu behandeln.
  • Menschenwürde setzt voraus, dass Kinder und Eltern vor körperlicher und seelischer Gewalt geschützt werden, d. h. dass es auch sichere Räume und eine Atmosphäre gibt, in denen sie sich angstfrei bewegen können.
  • Es geht weiterhin um Chancengleichheit und Inklusion: Kita und Schule sollen Orte der Vielfalt sein, an denen unterschiedliche Kulturen und Traditionen ihren Platz finden und gemeinsam gelebt werden können.
  • In Kita und Schule muss es verlässliche Bezugspersonen geben, die das Sicherheitsgefühl von Kindern und Eltern stärken, die Selbstständigkeit fördern, Konflikte auf gewaltfreie Art zu lösen vermögen.
  • All das führt zu dem Befund, dass Kitas und Schulen dann Orte sind, die Menschenwürde wahren, wenn sie Räume des Vertrauens und der Selbstentfaltung schaffen und es Kindern und Eltern ermöglichen, sich selbst als wertvoll und selbstwirksam zu erleben.

Viele Kitas und Schulen haben sich ein solches Programm auf ihre Fahnen geschrieben, haben entsprechende Konzepte entwickelt, Methoden ausprobiert sowie praktische Initiativen und Projekte erarbeitet. Insbesondere das Zusammenleben mit Menschen aus Osteuropa wird vielfach in den Mittelpunkt des Interesses gestellt; ich nenne nur einige wenige Beispiele.

In der Kita bieten sich u. a. folgende Ideen an:
❤ „Vielfalt und Gleichwertigkeit entdecken“ (mit Kennenlernaktionen, Kreativanteilen zu Selbstporträts sowie zur Buntheit der Lerngruppe, Austausch über die Erfahrungen der Unterschiedlichkeit),
❤ „Freundschaft und Respekt (mit Kooperationsspielen, Geschichten, Bilderbüchern sowie der Reflexion über das gemeinsame Wohlfühlen),
❤ „Gefühle erkennen und austauschen“ (Gefühlskarten-Ratespiel, Spiegel-Spiel zu verschiedenen Gesichtsausdrücken, Theaterstück „Traurigkeit trösten und Freude teilen“, Reflexion zum Thema Traurigkeit und Trösten).

In der Schule werden – je nach Altersstufe – z. B. folgende Ansätze gewählt:
- Definition „Was ist Menschenwürde?“ erarbeiten (Impulse aus Gesetzen, biblischen Texten etc.),
- Kreative Workshops („Würde-Wolke“),
- Projektarbeit „Menschenwürde im Alltag entdecken“ (aufmerksam machen auf Situationen in Schule und Alltag, in denen die Menschenwürde geachtet oder verletzt wird: Plakate, Fotos…),
- Verschiedene Kleinprojekte zum Thema Menschenwürde erarbeiten (Theaterstück, Kunstprojekte, neue Medien und Videos: Menschenwürde im digitalen Raum).

Für die Bereiche Kita und Schule liegen im Blick auf das Themenfeld „Menschenwürde“ zahlreiche Arbeitshilfen vor, die u. a. über die Webseiten der Deutschen Bischofskonferenz, des Religionspädagogischen Instituts Loccum, der Evangelischen Kirche Deutschlands, den entsprechenden Bildungsservern für Unterrichtsmaterialien in der Schule sowie Arbeitsvorschläge für den Kita-Alltag abrufbar sind. Ich empfehle:

Die Renovabis-Pfingstaktion weist auf die Notlage der Menschen in Osteuropa und die Bedrohung der Menschenwürde in diesen Ländern hin. Es geht darum, Projekte für Geflüchtete zu fördern, Hilfen zur Traumabewältigung und für Kriegsversehrte sowie den beruflichen Neuanfang anzubieten. Es geht auch darum, Projekte zur Beratung und Prävention zu fördern und nicht zuletzt auch Bildung, pastorale Begleitung und soziale Integration zu fördern.

Wir können hier vor allem im Bildungsbereich ansetzen ... und tun es: Kitas, Schulen, aber auch Ausbildungsgänge und Hochschulstudien sind zentrale Orte, um das Thema Menschenwürde in den Fokus zu nehmen. An diesen Schaltstellen haben wir vielfältige Möglichkeiten, gemeinsam mit jüngeren und älteren Menschen die Achtung der Menschenwürde und den damit verbundenen, oben genannten Grundsätzen zu realisieren und kontinuierlich wachzuhalten. Lassen wir diese Chance nicht liegen!

Inhalt erstellt: 22.04.2025, zuletzt geändert: 22.04.2025

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