Das Bild zeigt die Reisegruppe in einem kleinen Raum, während sie einem Vortrag von Erzpriester Yury Roi zuhört.
Erzpriester Yury Roi ist 2022 aus Belarus geflüchtet und seit drei Jahren Leiter der belarussischen orthodoxen Gemeinde in Litauen; hier zeigt er der Delegation seine „Wohnzimmerkapelle“ im Zentrum von Vilnius.
Quelle: Maria Rösch / pba
16.10.2025 – Renovabis-Pfingstaktion

Reisegruppe besucht Projekte im Baltikum

Eine Delegation aus dem Bistum Augsburg und von Renovabis hat Projekte in Litauen und Lettland besucht. Die Begegnungen zeigten eindrücklich, wie die Kirche dort Menschen in Not hilft – und wie wichtig Solidarität in Zeiten politischer Unsicherheit bleibt.

Nächstes Jahr im Mai findet die bundesweite Eröffnung der Renovabis-Pfingstaktion im Bistum Augsburg statt. Um sich aus nächster Nähe über die Situation und vielschichtige Projektarbeit des Hilfswerks in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zu informieren, hat sich eine zehnköpfige Reisegruppe aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden des Bistums Augsburg sowie Renovabis auf den Weg nach Litauen und Lettland gemacht. Bei Besuchen in karitativen Einrichtungen, bei Kirchenvertretern und politischen Akteuren hörten die Gäste von Sorgen, Nöten und einer schwelenden Angst vor kriegerischer Bedrohung im ehemals kommunistischen Land.

„Uns war es wichtig, dass wir zu dieser Zeit des russischen Angriffskriegs in diese Weltgegend fahren, um ein authentisches Bild der hier lebenden Menschen zu erhalten und zu erfahren, was hier gedacht wird. Diese Reise ist ein Zeichen der Solidarität mit den baltischen Staaten“, so Dr. Markus Ingenlath, zweiter Geschäftsführer von Renovabis zum Ziel der Bildungsfahrt. Wie diese Verbundenheit aussieht und in konkreten Projekten Gesicht erhält, davon konnten sich die Vertreter des Bistums in karitativen Projekten der Caritas und Malteser sowohl in der lettischen Hauptstadt Riga, als auch in den litauischen Städten Siauliai, Vilnius und Kaunas überzeugen. Darüber hinaus vermittelten Besuche bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Riga, im Sozialministerium sowie bei der Deutschen Botschaft in Litauen ein facettenreiches Bild der politisch-gesellschaftlichen Lage der beiden Länder. Vor allem die Kirche und kirchlichen Einrichtungen seien tragende Bausteine in der Arbeit mit sozialen Problemen und Missständen, war aus allen Gesprächen als gemeinsame Botschaft zu hören.

Ein Beispiel hierfür war das Caritas-Projekt "Holy-Family-House" in Riga, das die Gruppe an zwei Standorten besuchte: „Unsere Arbeit ist ausgerichtet auf Familien. Auf Basis der christlichen Ethik wollen wir Eltern in Fragen der Erziehung, der Partnerschaft sowie in Krisen stärken und unterstützen“, betonte Inese Ŝvekle, Direktorin der Caritas Riga. Darüber hinaus gebe es spezielle Angebote für Jugendliche und Menschen mit Behinderung. Dafür würden vor allem „Freiwillige“ geschult, die in Kursen auf die Arbeit mit sozial Benachteiligten vorbereitet würden, so Ŝvekle weiter.

Auf die Arbeit von „Freiwilligen“ greifen auch die Malteser in Riga zurück – ein Verband, der erst vor vier Jahren gegründet wurde und mittlerweile vor allem im Engagement mit Geflüchteten aus der Ukraine wertvolle Arbeit leistet. „Wir haben Seniorentreffen, Sprachkurse und Kreativ-Workshops für die Geflohenen eingerichtet“, betonte Inese Motte, Generalsekretärin der Malteser in Lettland. „Einige Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten mittlerweile selbst als Ehrenamtliche bei den Maltesern mit. „Es ist schön zu sehen, dass sie nicht nur Hilfe empfangen, sondern auch weitergeben. Durch die Arbeit als Freiwillige fühlen sie sich gebraucht und freuen sich, anderen helfen zu können.“

Wie in Lettland kümmert sich auch in Litauen vor allem die Kirche mit ihren sozialen Einrichtungen um Menschen in Notlagen. „Im Kommunismus der ehemaligen Sowjetrepublik war die Leistung von sozialen Diensten an die Dienstgeber der Arbeitnehmer geknüpft. Durch die Privatisierung fielen die Sozialsysteme zusammen. Die Caritas hat diese Lücke gefüllt“, gab Diakon und Vorstandsvorsitzender, Arūnas Kučikas, Einblicke in die Ursprünge des kirchlich-sozialen Agierens in den baltischen Staaten und wies zugleich auf aktuell drängende Herausforderungen und Vorsorgemaßnahmen in Blick auf die weltpolitische Lage hin. „Wir bereiten uns gerade mit Notfallplänen auf mögliche russische Angriffe vor. Dies ist nicht einfach, weil viele Menschen noch die Erfahrungen der Geschichte im Kopf haben“, gab Kučikas zu Bedenken.

Mit den prägenden Auswirkungen des Sowjetregimes auf die Mentalität und Psyche der Menschen ist die Schwesternkongregation der Eucharistinerinnen in Vilnius beschäftigt. Mit speziellen Kursen haben sie sich der Aufgabe verschrieben, ein sensibles Sprechen im Sinne der gewaltfreien Kommunikation in die Gesellschaft zu tragen. „Im Kommunismus waren die Menschen gewohnt, nicht mit Respekt behandelt zu werden. Viele agieren deshalb heute noch sehr zurückhaltend ohne ein Vertrauen in das Gegenüber. In unseren Kursen vermitteln wir unseren Klienten Selbstvertrauen, Empathie und sensibles Sprechen“, erklärte Sr. Dalia Verbylė bei einem Besuch in ihrer kleinen Wohnung. Statt Ordenstracht geht sie mit Kapuzenpullover und Jeans ihrer sozialen Aufgabe nach. Die Menschen hinter diesem Projekt kennenzulernen, war für Reiseteilnehmerin Andrea Decke von der Abteilung Weltkirche im Bistum Augsburg eine spannende Erfahrung. „Seit Jahren fördern wir auch von Seiten der Diözese die Arbeit der Schwestern. Es hat mich gefreut zu sehen, wie unsere finanzielle Unterstützung wertvolle Verwendung findet.“

Wie wichtig es sei, nicht vom Baltikum zu sprechen, sondern die baltischen Staaten in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen, wurde der Reisegruppe nicht nur durch ein Gespräch in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Riga bewusst, sondern auch mit Blick auf die kirchlichen Strukturen der beiden Länder. Während die Katholiken in Lettland mit 20 Prozent eine Minderheit darstellen, ist Litauen ein traditionell mehrheitlich katholisches Land. Welche Auswirkungen dies für die pastorale Arbeit hat, wurde den Gästen aus Deutschland bei Begegnungen mit Bischöfen der beiden Länder vor Augen gestellt.

„Unser Ziel ist es, die Rolle der Kirche in einer nicht religiös geprägten Gesellschaft zu stärken. Wir wollen das Evangelium und die christlichen Werte zu den Menschen bringen“, stellte der Erzbischof von Riga, Dr. Zbignevs Stakevičs, die Schwierigkeiten katholisch-kirchlichen Agierens in der Diaspora-Situation Lettlands vor. Möglichkeiten hierfür bietet das Religionswissenschaftliche Institut RARZI, ein gefördertes Projekt von Renovabis und gleichzeitig Ort der Gesprächsrunde mit den Vertreter/-innen aus Deutschland. „Es hat gute Früchte gebracht, dass wir Pfarreien aktiv besuchen, um junge Menschen für das Studium und die pastorale Arbeit im Anschluss zu begeistern“, so der Erzbischof weiter. Angeschlossen an die Standards der Lateran-Universität bietet die universitäre Einrichtung eine Reihe von akademischen Programmen in den verschiedenen Bereichen der Religionswissenschaften an.

Trotz einer mehrheitlich katholischen Prägung des Landes, wusste auch Erzbischof Dr. Gintaras Grušas in Vilnius, von Herausforderungen kirchlichen Agierens zu berichten. „Ein großes Problem, das uns derzeit beschäftigt ist die zunehmende Individualisierung und das Konsumdenken innerhalb der Gesellschaft. Die Mehrheit der Bevölkerung ist katholisch, aber nur wenige wissen über die Inhalte des Glaubens Bescheid. Unsere Aufgabe ist es, in einer säkularisierten Gesellschaft die Menschen mit dem Evangelium in Berührung zu bringen“, so Erzbischof Grušas, zugleich Mitglied im Dikasterium für die Kommunikation und Präsident des Rats der europäischen Bischofskonferenzen. Neben der kirchlichen Situation waren auch die aktuell politischen Herausforderungen im Blick auf Russland und die mentalitätsprägenden geschichtlichen Erfahrungen der Menschen im Baltikum Thema des Gesprächs.

Die Besonderheit der geographischen und politischen Lage Litauens wurden den Gästen aus Augsburg spätestens am „Berg der Kreuze“ in Šiauliai hautnah vor Augen geführt. Der ursprünglich auf Legenden beruhende Wallfahrtsort wurde seit dem 19. Jahrhundert zunehmend zum Symbol des nationalen Widerstands gegen die kommunistische Herrschaft der Sowjets, wie Pater Severin (OFM) vom angeschlossenen Franziskanerkloster zu berichten wusste. Eine schmale Treppe aus Holzbohlen führt den kleinen Hügel bergan. Links und rechts säumen unzählbar große und kleine Kreuze den Weg, Rosenkränze und Engel hängen an Bäumen und Pfeilern. „Der Berg wurde zum Realsymbol für den Glauben und die Freiheit Litauens“, so der weit über 80-jährige Franziskanerpater zur besonderen Bedeutung des Ortes.

Ein eindrucksvolles Zeugnis tiefer Gläubigkeit konnte die Gruppe bei einem Treffen mit Erzpriester Yuri Roi der Belarussisch Orthodoxen Gemeinde im Litauischen Exarchat von Konstantinopel als Schlussakkord mit auf die Heimreise nehmen. Im Aufblühen des Ukraine-Krieges hatte er sich öffentlich gegen das politische System seiner Heimat gestellt und war mit seiner Familie nach Litauen geflohen. Zusammen mit acht Priestern bietet er nun in einer kleinen Hauskapelle ein offenes Glaubensleben an. „Die Erfahrung der Emigration war sehr schwierig, aber ich schätze meine neue Freiheit und bin glücklich“, sprach der vierfache Familienvater Yuri Roi Worte, die nicht nur Anton Stegmair, Leiter der Abteilung Weltkirche im Bistum Augsburg, in Erinnerung bleiben dürften. „Höhepunkt der Reise war für mich die Begegnung mit dem orthodoxen Priester aus Belarus, der aus dem Glauben heraus mit seiner Familie seine Heimat verlassen hat, um eine Gemeinde für offene, orthodoxe Gläubige in Litauen aufzubauen. Die Erzählung von Abraham wurde für ihn ganz real“, betonte Stegmair und blickte dankbar auf die Erlebnisse im Baltikum zurück. „Auf der Reise nach Lettland und Litauen konnte ich wieder erfahren, wie Solidarität zwischen den kirchlichen Partnern wirkt. Es geht nicht nur um Finanzen, sondern überhaupt um das ‚Gesehen‘ und ‚Mitgetragen zu werden‘.“

Das solidarische Miteinander der Länder greift auch die Pfingstaktion 2026 mit der bundesweiten Eröffnung in Augsburg auf. Unter dem Thema „zusammen_wachsen. damit Europa menschlich bleibt“ soll die Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Fokus stehen. „In der Begegnung mit unseren Partnern sollten die Teilnehmenden der Delegationsreise die Möglichkeit erhalten, Einblicke in aktuelle pastorale und soziale Herausforderungen bekommen. Bei allen Unterschieden zwischen den beiden Zielländern und Deutschland geht es darum, gemeinsame Themen wahrzunehmen, die sich dort und bei uns stellen“, so Thomas Müller-Boehr, Organisator und Begleiter der Reisegruppe, mit Blick auf die kommenden Aktionen im Bistum Augsburg.

Inhalt erstellt: 16.10.2025, zuletzt geändert: 17.10.2025

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