Auschwitz-Birkenau
Auschwitz-Birkenau
Quelle: Marko Orlovic/DBK
30.08.2023 – Reisebericht

Workshop: „Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz"

Seit 2010 findet jedes Jahr im Sommer in Oświęcim/Auschwitz ein Workshop mit dem Titel „Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz" statt. Organisiert wird das Treffen von der Maximilian-Kolbe-Stiftung, Renovabis fördert das Projekt seit vielen Jahren.

Ziel des Workshops ist zum einen, den Teilnehmenden aus verschiedenen europäischen Ländern einen Einblick zu geben, was in den Jahren 1940 bis 1945 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz I (Stammlager) und in Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II) geschehen ist, wo etwa 1,1 Millionen Menschen, weit überwiegend europäische Jüdinnen und Juden, ermordet worden sind. Zum anderen ermöglicht die Veranstaltung den Teilnehmenden, sich in unterschiedlichen Modulen mit den fortbestehenden Prägungen und Verletzungen auseinanderzusetzen, die von Auschwitz und den Ereignissen des 2. Weltkriegs ausgehen. In diesem Jahr hat Renovabis-Referent Thomas Müller-Boehr, verantwortlich für den Bereich Partnerschaft und Dialog, Freiwilligendienst und Länderübergreifende Projekte, an dem Workshop teilgenommen. Lesen Sie hier Auszüge seines Berichts.

Die Gedenkstätte Museum Auschwitz

Die Gedenkstätte Museum Auschwitz besteht aus dem Stammlager Auschwitz I (seit Juni 1940), dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau (seit März 1942) und dem Arbeitslager Auschwitz III (Monowitz), dem größten von mehreren Nebenlagern von Auschwitz. In den Jahrzehnten vor der Grenzöffnung, so berichtete Bartosz Bartysel, der Pressesprecher der Gedenkstätte, kamen die meisten Besucher aus den sozialistischen Nachbarländern, etwa 400.000 im Jahr. Nach 1989 entwickelten sich die Zahlen schrittweise nach oben, heute sind es rund 1,8 Millionen jährlich.

Der Zugang zum Gelände geht durch mehrere abwärts verlaufende Betontunnel, welche den Besuchern eine gewisse „Anmutung“ des Ganges der Todeskandidaten in die Gaskammern von Auschwitz vermitteln und auf den Besuch vorbereiten soll. Die Dokumentation des Museums Auschwitz befindet sich in mehreren der aus Ziegeln erbauten Barracken des Stammlagers, die weitgehend noch im Originalzustand stehen. Lediglich die Dächer wurden in den vergangenen Jahrzehnten renoviert.

Nach dem Besuch des Museums im Stammlager bleibt den Besuchern die Sprachlosigkeit über das Grauen, das sich an diesem Ort ereignet hat. Für mich waren es insbesondere die hinter Glas verschlossenen Berge von Schuhen, insbesondere von Kindern, von Haaren, Brillen, persönlichen und Alltagsgegenständen der ehemaligen Gefangenen und Ermordeten.

Die Selektionsrampe in Auschwitz-Birkenau
Die Selektionsrampe in Auschwitz-Birkenau.
Quelle: Marko Orlovic/DBK
Eine Gruppe von Männern und Frauen in Auschwitz-Birkenau
Die Workshop-Teilnehmenden beim Gang durch Auschwitz-Birkenau.
Quelle: Marko Orlovic/DBK

Auschwitz ist der Inbegriff des unaussprechlichen menschenverachtenden Rassenwahns des NS-Regimes. Auschwitz ist der Ort von über einer Million namenloser Opfer. Er steht auch für die anderen Vernichtungslager der Nationalsozialisten und die ungezählten Orte vor allem im Osten Europas, an denen dieser Völkermord begangen wurde. Seit einigen Jahren werden die bisher etwa vier Millionen identifizierten Namen der im Holocaust rund sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden im Museum Auschwitz dokumentiert. Die Namen sind in großen, mehrere Meter langen Folianten abgedruckt.

In Block 11 des Stammlagers befindet sich die Todeszelle, in der Franziskanerpater Maximilian Kolbe mit einer Giftspritze ermordet wurde, nachdem er nach 14 Tagen ohne Nahrung in der Todeszelle noch am Leben war. Er hatte sich an Stelle eines Familienvaters freiwillig gemeldet, der zusammen mit neun anderen Gefangenen sterben sollte als Vergeltung für die gelungene Flucht eines Häftlings.

Das weite Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau liegt etwa drei Kilometer vom Stammlager entfernt. Der Weg führte die Workshop-Teilnehmenden über die Selektionsrampe und mehrere noch bestehende Holzbaracken.

Man kann sich die Lebensumstände derjenigen Gefangenen, die nicht unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden, nicht wirklich vorstellen. Das Dahinvegetieren, anders kann es kaum beschrieben werden, bestand aus Zwangsarbeit in den Außenlagern, völliger Mangelernährung, katastrophalen und entwürdigenden sanitären Verhältnissen und willkürlichen Torturen bei sehr heißen Sommern und sehr kalten Wintern.

Die Ermordung von zunächst weit überwiegend polnischen Juden begann bereits ab Juni 1940 in der Gaskammer des Stammlagers. Sie wurde nach der Wannseekonferenz im Januar 1942 als industriell organisierter Völkermord in den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau fortgesetzt. Die Dimensionen übersteigen jedes Vorstellungsvermögen. Die abendliche Reflexionsrunde der Workshop-Teilnehmenden hat gezeigt, wie schwer die Eindrücke dieses Tages überhaupt auszusprechen waren.

Riesige Folianten mit den Namen der ermordeten Jüdinnen und Juden
Auf diesen Folianten werden die Namen der ermordeten Jüdinnen und Juden dokumentiert.
Quelle: Marko Orlovic/DBK
Der originalgetreue Nachbau der „Schwarzen Wand" im Stammlager Auschwitz
Der originalgetreue Nachbau der „Schwarzen Wand" (der Todeswand) iim Stammlager Auschwitz.
Quelle: Marko Orlovic/DBK

Begegnung mit Zeitzeugen

Der wohl für die meisten Teilnehmenden beeindruckendste Teil des Workshops war die Begegnung mit zwei überlebenden Zeitzeugen: Zdzislawa Wlodarzyk stammt aus Warschau, die Familie von Grzegorz Tomaszewski aus Belarus.

Nach der Besichtigung der Lager am Vortag nahm die Gruppe ihre Schilderungen über die Kriegsereignisse, die beide in ihrem Umfeld damals erlebt hatten, vor allem aber ihr Zeugnis über die Erfahrungen in den Lagern, noch bedrückender wahr. Ohne in die Details zu gehen: Die Berichte über ihre Erfahrung der körperlichen und emotionalen Leiden – oft ein Leben lang bleibend – der grenzenlosen Willkür, der Erniedrigungen, prägten die Atmosphäre in der Gruppe.

Die Zeitzeugin Zdzislawa Wlodarzyk
Die Zeitzeugin Zdzislawa Wlodarzyk stammt aus Warschau.
Quelle: Marko Orlovic/DBK
Der Zeitzeuge Grzegorz Tomaszewski aus Belarus.
Der Zeitzeuge Grzegorz Tomaszewski aus Belarus.
Quelle: Marko Orlovic/DBK

Eine Ausstellung

In der Krypta der Franziskanerkirche im nahe gelegenen Ort Harmeze besuchten die Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer die Ausstellung des Künstlers und Auschwitz-Überlebenden Marian Kołodziej (1921-2009). Er wurde im ersten Zug nach Auschwitz deportiert und wurde dort zum Gefangenen Nr. 432. In einer enormen Zahl von Zeichnungen hat er seine Leidensgeschichte künstlerisch aufgearbeitet - eine Sammlung von detailgenau dargestellten Motiven mit gespensterhaften Gesichtern und ausgemergelten Körpern in apokalyptischen Szenen. Sie sind Ausdruck des auch für ihn als Überlebenden nicht enden wollenden Grauens. Erst nach vielen Jahren war er in der Lage, seine Erlebnisse aufzuarbeiten.

Jahrestag der Ermordung von Maximilian Kolbe

Am 14. August nahm die Gruppe an der etwa zweistündigen Eucharistiefeier anlässlich des 82. Jahrestages der Ermordung des Heiligen Pater Maximilian Kolbe OFMConv. teil. Sie wurde auf dem Gelände des Stammlagers neben Block 11 gefeiert, in dessen Keller sich seine Todeszelle befindet. Erzbischof em. Ludwig Schick (Vorsitzender des Stiftungsrates der Maximilian-Kolbe-Stiftung und früherer Erzbischof von Bamberg) ließ von Pfarrer Manfred Deselaers am Ende des Gottesdienstes in polnischer Sprache eine Botschaft zur bleibenden Aufgabe der deutsch-polnischen Versöhnung und der Verantwortung beider Länder für Verständigung und Frieden heute in Europa verlesen. Der deutsche Geistliche Manfred Deselaers lebt seit 32 Jahren in Oświęcim und arbeitet im Zentrum für Dialog und Gebet in der Nähe der Gedenkstätte Auschwitz.

Führung durch Oświęcim

Nach den emotional sehr fordernden ersten Tagen brachte eine teils historische, teils zeitgeschichtliche Führung durch Oświęcim (ca. 35.000 Einwohner.) einen Blick aus einer anderen Perspektive: Nach Auskunft von Dr. Piotr Setkiewicz (Museum Auschwitz) besichtigen höchstens 10 Prozent der Auschwitz-Besucher bei ihrem Aufenthalt die Stadt Oświęcim. Sie wurde bereits wenige Tage nach dem Überfall auf Polen am 1.9.1939 von der Wehrmacht besetzt, die polnische Verwaltung wurde vollständig durch die deutsche ersetzt und der Name der Stadt durch das eingedeutschte Auschwitz ersetzt. Ab Frühjahr 1940 waren es Polen und Juden aus dieser Region, die als erste in das Stammlager deportiert und ermordet oder in den umliegenden Lagern zur Arbeit gezwungen wurden. Es ist ein kaum fassbares Wunder, dass eine der Synagogen des Ortes nicht zerstört worden ist und heute von der kleinen jüdischen Gemeinde wieder genutzt wird.

In der Todeszelle von Maximilian Kolbe
In der Todeszelle von Maximilian Kolbe. Ganz links Erzbischof em. Ludwig Schick.
Quelle: Marko Orlovic/DBK
Erzbischof em. Ludwig Schick während des Gedenkgottesdienstes für Maximilian Kolbe
Erzbischof em. Ludwig Schick während des Gedenkdottesdienstes für Maximilian Kolbe.
Quelle: Marko Orlovic/DBK
Der deutsche Geistliche Manfred Deselaers
Der deutsche Geistliche Manfred Deselaers
Quelle: Marko Orlovic/DBK

Betendes Gedenken an die Ermordeten

Der letzte thematische Teil des Workshops: Ein von Pfarrer Manfred Deselaers geführter Gang über das Gelände von Auschwitz-Birkenau mit den Stationen des Kreuzwegs. Die Texte, jeweils bestehend aus einem Bibeltext, dem Bericht eines Häftlings und einem abschließenden Gebet, wurden abwechselnd von den Teilnehmenden in ihren Muttersprachen gelesen. Dieser Kreuzweg war ein Weg des betenden Gedenkens an die Ermordeten von Auschwitz und des Gebets um Umkehr zu Frieden, Versöhnung und Achtung der Würde jedes Menschen in den großen aktuellen Herausforderungen.

Auschwitz ist nicht zu verstehen. Aber jeder Besuch öffnet mehr den Blick für die Dimensionen der unaussprechlichen Verbrechen unserer eigenen Geschichte. Zugleich sind die gemeinschaftlich gemachten Erfahrungen im Workshop, die Begegnungen und Gespräche, nicht zuletzt die Gottesdienste, starke Impulse, um in den unterschiedlichen eigenen Lebensbezügen Sensibilität und Wachsamkeit zu entwickeln, wo wir mit Ausgrenzung, Hass und Gewalt konfrontiert sind.

Inhalt erstellt: 30.08.2023, zuletzt geändert: 31.08.2023

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