Über die Wanderausstellung „FriedensMenschen"
Frieden und Versöhnung – dieses Themenfeld spielte und spielt in der Arbeit des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis seit seiner Gründung vor mehr als 30 Jahren eine große Rolle – ganz besonders jedoch im Jahr 2024, wenn Renovabis die Pfingstaktion, die jährliche Kampagnenzeit rund um das Fest des Heiligen Geistes, unter das Leitwort „Damit Frieden wächst. DU machst den Unterschied“ stellt.
Zusammen mit dem gastgebenden Bistum Münster entstand die Idee, in einer Wander-Ausstellung mit dem Titel „FriedensMenschen“ Frauen und Männer zu zeigen, die sich persönlich dafür einsetzen, dass Frieden wachsen kann. Denn davon sind die Organisatoren überzeugt: Jede einzelne Aktion, jeder Ansatz, jedes Engagement ist wichtig, um Frieden in die Köpfe und in die Herzen der Menschen zu bringen – gerade dann, wenn politische Eliten oder Gruppen Konflikte eher anheizen, statt sie zu beruhigen oder Gegensätze eher verstärken, statt sie abzubauen.
Die Fotografin Mariia Varanytska (Ukraine) und der Fotograf Achim Pohl (Deutschland) sind durch Polen, Bosnien und Herzegowina, die Ukraine und Deutschland gereist und haben die eindrucksvollen Porträts der Ausstellung mitgebracht. Die nahezu lebensgroßen Bilder wurden auf leichte und fließende Stoffe gedruckt, die Porträtfahnen „schweben" damit durch den Ausstellungsraum und symbolisieren so die Dynamik, die in jedem Engagement für ein friedliches Zusammenleben deutlich wird: „Damit Frieden wächst. DU machst den Unterschied."
Wenn Sie die Ausstellung ausleihen möchten, wenden Sie sich bitte an Renovabis (Frau Sabine Hofmann, Telefon 08161/5309-49, Mail: ga@renovabis.de) oder an die Fachstelle Weltkirche des Bistums Münster (Telefon 0251/495 6371)
Weitere Informationen über die Renovabis-Pfingstaktion 2024 im Bistum Münster
Die 24 FriedensMenschen der Ausstellung
Teodora Shulak
„Gott ist dort am meisten zu spüren, wo das Leid am größten ist“, sagt Schwester Teodora Shulak. Sie ist seit mehr als 25 Jahren Mitglied der Ordensgemeinschaft der Redemptoristinnen-Missionarinnen und arbeitet als Psychotherapeutin und Lehrerin. Neben ihren Aufgaben als Generaloberin der Kongregation reist sie auch durch Deutschland und hält Vorträge über den Krieg in der Ukraine. Sie erzählt von einer Begegnung in Tschernihiw, einer Stadt in der Ukraine, die 40 Tage lang von russischen Truppen vollständig abgeriegelt war und bombardiert wurde. Unmittelbar nach der Räumung ist Schwester Teodora in diesen Ort gefahren, um als Psychotherapeutin zu helfen. Sie traf eine Familie, deren Haus zerstört worden war und die jetzt in der Garage lebte. Neben den Ruinen des Hauses: ein ordentlich gepflegter Garten mit Blumen, Obst und Gemüse. Wie konnte ein solcher Garten neben einer solchen Verwüstung entstehen? Die Besitzerin sagte zu Schwester Teodora: „Wir müssen uns unter allen Umständen für das Leben entscheiden. Diese lebendigen Pflanzen, insbesondere Blumen und Gemüse, erinnern mich daran, dass ich dazu berufen bin, mich immer wieder für das Leben zu entscheiden.“ Es war, so Schwester Teodora, „eine spirituelle Lektion von einer einfachen und schmerzlich erschöpften Frau.“
Oleh Turiy
Oleh Turiy ist Direktor des Instituts für Kirchengeschichte an der Ukrainisch Katholischen Universität in Lviv (Lemberg). Mit seinen Mitarbeitenden führte er etwa 2000 Interviews mit Zeitzeugen für sein Werk über die Unterdrückung der griechisch-katholischen Kirche in der Sowjetzeit. „Die Aufarbeitung der Vergangenheit steht in der Ukraine noch ganz am Anfang. Und unter einer russischen Besatzung wäre sie ganz unmöglich“, erklärt Turiy. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Beschäftigung mit der schmerzlichen Wahrheit die Voraussetzung für nachhaltigen Frieden ist.“ Der 59-jährige Kirchenhistoriker war während seiner Forschung immer wieder beeindruckt von der Glaubensfestigkeit der ukrainischen Kirche.„Die griechisch-katholischen Gläubigen haben in der kommunistischen Zeit am meisten gelitten, weil sie den Papst als Oberhaupt anerkennen. Aber trotz aller Verfolgung sind die meisten standhaft geblieben.“
Antonia Shelepylo
Die 35-jährige Ordensfrau Antonia ist Redemptoristen-Schwester. Sie lebt mit sechs Mitschwestern in einer Kommunität im kleinen Ort Kamyanets-Podilsky in der Ukraine, wo sie in einem Caritas-Projekt für Binnenflüchtlinge psychologische Begleitung und Beratung anbietet. „Auch an der Katholischen Universität in Lviv (Lemberg) betreue ich die Studierenden. Als im Februar 2022 der Krieg ausbrach, waren alle mit den Nerven am Ende und gerieten regelrecht in Panik. Viele haben befürchtet, dass die russische Armee binnen Tagen auch Lviv erobern wird. Ich habe mit den Studentinnen und Studenten Meditationsübungen gemacht, sie ermahnt, zu essen und zu trinken und nicht ständig mit dem Handy Nachrichten zu erfolgen. Zum Glück hat die Uni ihren Präsenzbetrieb schnell wieder aufgenommen“, sagt Schwester Antonia: „Für die Seele ist es ohne Frage besser, nicht allein zuhause vor dem Bildschirm zu sitzen. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir Gemeinschaft mit anderen.“
Tetyana Balashowa
Die 42-jährige Tetyana Balashowa ist Germanistik-Dozentin an der Katholischen Universität in Lviv (Lemberg). Seit vielen Jahren setzt sie ihre Deutschkenntnisse ein, um ehrenamtlich zu helfen. „Ich übersetze Arztbriefe und Atteste für Kinder, die zu einer medizinischen Behandlung nach Westeuropa fahren. Nach Ausbruch bewaffneten Konflikts mit Russland im Donbass war ich einige Male in Berlin, um medizinisches Material für unsere Soldaten zu organisieren. Am Anfang hatten unsere Jungs doch fast nichts.“ Für Tetyana ist das Friedensarbeit: Die Armee verteidigt Frieden und Freiheit der Ukraine, so sieht sie das. Auch nach dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 hat sie zusammen mit anderen Ehrenamtlichen Hilfe organisiert, manchmal bis spät in die Nacht. Heute stapeln sich in ihrem Wohnzimmer gespendete Babynahrung und Hustensaft für Kinder, aber auch spezielles Verbandsmaterial für Schussverletzungen – das dort verteilt wird, wo Hilfe am nötigsten ist. Unbegreiflich ist Tetyana die Unwissenheit vieler Menschen: „Mein Vater ist ethnischer Russe, er hat noch zwei Schwestern in Moskau. Die glauben ernsthaft, dass die russische Armee gekommen wäre, um die Ukraine zu befreien.“
Stanislaw Szyrokoradiuk
Stanislaw Szyrokoradiuk, Bischof der Diözese Odessa und Simferopol in der Ukraine, geht seit vielen Jahren pilgern. Seine 31. Pilgerreise führt ihn von Kiew nach Berdytschiw, eine Stecke von etwa 180 Kilometern. Sein Anliegen ist es, dabei besonders für die Menschen zu beten, die das Land verteidigen – und für den Frieden. Für Bischof Szyrokoradiuk hat die Kirche während des russischen Angriffskrieges zwei Funktionen zu erfüllen: Zum einen ist das die geistliche Begleitung, die soziale und psychologische Hilfe, zum anderen die materielle Unterstützung der Notleidenden. Der Bischof nennt eine weitere wichtige Aufgabe für die Kirche: die Wahrheit zu verkünden und zu sagen, warum der Krieg begonnen hat: „Wir wollten den Weg der europäischen Einigung gehen. Darunter leiden wir jetzt, und es ist sehr wichtig, dies zu verstehen: Wir wollen unabhängig sein, wir wollen nach Europa gehen, wir wollen unsere tragische Vergangenheit mit Russland loswerden.“ Logisch betrachtet habe die Ukraine keine Chance, sagt er. „Aber Gott ist auf unserer Seite, auf der Seite der Gerechtigkeit, und auch die Kirche ist auf unserer Seite. Das gibt den Menschen Hoffnung, und das trägt zum Frieden bei.“
Serhiy Bortnyk
Serhiy Bortnyk ist Professor an der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche und ist Mitarbeiter des Außenamtes der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Er setzt sich seit vielen Jahren für Versöhnung ein und leitet die Stiftung „Akademische Initiative“. Vor dem russischen Angriffskrieg unterstützte diese Stiftung Studentenaustausche oder Gastvorlesungen und veröffentliche Lehrbücher. Mit Kriegsbeginn war die Nothilfe für Bedürftige wichtiger. Es galt, Spenden zu sammeln – inzwischen beläuft sich die humanitäre Hilfe auf mehr als 200.000 Euro. Serhiy Bortnyk sagt: „Die Aufgabe der Kirchen in diesem Konflikt besteht darin, die Haltung gegenüber den Feinden zu mildern, die Menschlichkeit zu stärken und die übertriebene Grausamkeit zu verringern.“ Laut Serhiy sind die Christen, unabhängig von ihrer Konfession, dazu aufgerufen, ihre Feinde zu lieben. Und eine der wichtigsten Komponenten dieser „Feindesliebe“ sind humane Regeln der Kriegsführung - und nicht die Weigerung, sich zu verteidigen.
Šimo Maršić
Bosnien und Herzegowina ist ein Land mit vielen Problemen: In der Heimat von Šimo Maršić sind noch immer die Wunden des Krieges zu spüren, es herrscht Korruption, die beruflichen Perspektiven sind schlecht, so dass viele Menschen das Land verlassen. Ein wichtiges Projekt, um gerade jungen Leute eine Perspektive in Bosnien und Herzegowina aufzuzeigen und ein friedliches Miteinander über ethnische und religiöse Schranken hinweg zu ermöglichen, ist das Jugendzentrum „Johannes Paul II.“ in Sarajevo. Dessen Leiter Šimo Maršić sagt: „Wir bringen hier junge Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Religion zusammen und helfen ihnen, Vorurteile zu überwinden.“ Bei Studienbesuchen, Sommerlagern, Workshops oder Sportveranstaltungen entsteht ein Begegnungsraum, in dem man Toleranz und Respekt für diejenigen lernen kann, die anders sind als man selbst. Damit folgt Šimo den Worten von Papst Franziskus, der bei seinem Besuch in Sarajevo die Jugendlichen dazu aufforderte, „niemals Mauern zu bauen, sondern nur Brücken.“
Amir Hasanović
Prävention – das ist das Hauptanliegen von NARKO-NE (Nein zuDrogen), einem Verein zur Suchtprävention in Bosnien und Herzegowina. Prävention ist auch der Schwerpunkt der Arbeit von Amir Hasanović. „Es war mir wichtig, meinem Land zu helfen, und ich wusste, dass Drogenabhängigkeit ein Problem ist.“ Deshalb blieb Amir Hasanović im Land, obwohl er die Möglichkeit hatte, ins Ausland zu gehen: „Ich kann hier viel mehr Gutes tun.“ Amir Hasanović arbeitet seit mehr als 18 Jahren im sozialen Bereich, seit 2013 ist er Geschäftsführer von NARKO-NE. Sein Ziel: Gefährdete Kinder und Jugendliche zu befähigen, Suchtmitteln und Drogen zu widerstehen und „gesunde Alternativen“ zu finden. Das Angebot von NARKO-NE ist dank vieler engagierter Freiwilliger sehr umfangreich: Angefangen von Theatergruppen und Hausaufgabenhilfe über Kreativ-Workshops für Straßenkinder bis hin zum Projekt „Älterer Bruder, ältere Schwester“. Dabei begleiten junge Freiwillige, häufig Studierende der Sozialpädagogik, für zwei Jahre ein Kind, das in schwierigen Familienverhältnissen, einem Heim oder sogar auf der Straße lebt und helfen ihm, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Darko Tomašević
Darko Tomašević ist Professor und Dekan der Katholischen Theologischen Fakultät in Sarajevo. Er verbrachte seine Kindheit in der Kleinstadt Vidovice. Die an der bosnisch-serbischen Grenze gelegene Stadt war eine der ersten, die die verheerenden Auswirkungen des Krieges zu spüren bekam – etwa 80 Prozent der Gebäude wurden zerstört und Dutzende von Menschen kamen bei den Kämpfen ums Leben. Viele Medien und auch einige Politiker hätten damals die Religionen beschuldigt, den Konflikt zu schüren, sagt der Theologe. Er ist überzeugt, dass der Grund für den Krieg nicht darin lag, dass die Thora, der Koran und die Bibel den Frieden unterschiedlich interpretieren. Den interreligiösen Dialog zu fördern – das ist ein großes Anliegen von Darko Tomašević. Deshalb gründete er zusammen mit Kollegen den Masterstudiengang „Interreligiöse Studien und Friedensförderung“. Das Programm hat in fünf Jahren mehr als 70 Studien-Absolventinnen und -Absolventen hervorgebracht. „Vergebung ist schwierig, aber sie ist der Weg zur Erlösung. Versöhnung beginnt auf der persönlichen Ebene und erreicht erst später die nationale Ebene.“
Franjo Komarica
Er ist ein unermüdlicher Kämpfer für Frieden und Menschenrechte: Franjo Komarica, emeritierter Bischof von Banja Luka in Bosnien und Herzegowina. Der Kroate Komarica studierte in Innsbruck Theologie und Kirchenmusik, 1972 wurde er zum Priester geweiht – und 1989 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Banja Luka. Als der Krieg ausbrach, geriet das Bistum von Bischof Franjo unter serbische Kontrolle. Viele Katholiken wurden umgebracht oder vertrieben, katholische Kirchen und Klöster wurden fast vollständig zerstört. Der Bischof selbst wurde beinahe ein Jahr lang unter Hausarrest gestellt. Immer wieder nahm er Menschen in seinem Haus auf, manchmal mehr als 30 gleichzeitig – ungeachtet ihrer Religion oder Ethnie. „Ich bewundere Menschen, die nicht in Hass auf ihre Peiniger verfallen, sondern die Kraft finden, für diejenigen zu beten, die sie missbrauchen.“ Für seinen Einsatz für Menschenrechte wurde Franjo Komarica mehrfach ausgezeichnet und auch für den Friedensnobelpreis nominiert.
Krzysztof Czyżewski
Mit dem Kulturzentrum „Fundacja Pogranicze“ hat der polnische Schriftsteller und Kulturschaffende Krzysztof Czyżewski seinen Lebenstraum verwirklicht. Das polnische Wort „Pogranicze“ bedeutet so viel wie Grenzregion – das Kulturzentrum liegt zwei Kilometer von der litauischen Grenze entfernt, nach Belarus sind es zwölf Kilometer. „Die Region weist eine spannende Mischung verschiedener Kulturen auf. Im 19. Jahrhundert lebten hier zu 70 Prozent Juden“, sagt der 65-jährige Czyżewski. Ein kleines Museum in der „Fundacja Pogranicze“ zeigt die Spuren der wechselvollen Geschichte, es gibt Kunstausstellungen, Literaturübersetzungen und Kulturfestivals – und neben der ehemaligen Synagoge des Städtchens Seyni übt regelmäßig ein Orchester im jiddischen Klezmer-Stil und lässt so die alte jüdische Volksmusik wieder auferstehen. „Während meiner Schulzeit standen die Menschen der Grenzregion schnell im Verdacht, nicht loyal gegenüber dem Staat zu sein, da viele eine gemischte Herkunft haben, vielleicht auch eine zweite Sprache sprechen“, erklärt Czyżewski. „Dabei macht doch gerade das den Reichtum unserer Kultur aus. Verständigung braucht Zeit. Die nehmen wir uns hier.“
Zdzisława Włodarczyk
Hinter der dunklen Sonnenbrille sind ihre tränennassen Augen nicht zu sehen. Die 90-jährige Holocaust-Überlebende Zdzisława Włodarczyk steht in Auschwitz, am Zaun des Außenlagers Birkenau. „So viele Menschen sind vor meinen Augen gestorben“, sagt sie mit leiser Stimme und deutet auf eine Baracke an der Seite. „Hier stand die Kinderbaracke, in der ich mit meinem Bruder lebte. Meine Mutter war auf den Todesmarsch nach Ravensbrück geschickt worden, meinen Vater hatten sie ins KZ Flossenbürg gebracht; ihn habe ich nie wieder gesehen. Bei der Befreiung von Auschwitz war ich elf Jahre alt, ich weiß genau, wie ich mich mit den anderen Überlebenden in einer viel zu großen, zerlumpten Jacke auf den Weg nach Krakau machte, wo ein Rot-Kreuz-Lager war.“ Beim Spaziergang über das Lagergelände erscheint die alte Dame erstaunlich rüstig, eine Gehhilfe braucht sie nicht. Warum tut Zdzisława Włodarczyk sich diese seelischen Strapazen immer wieder an? „Schauen Sie, ich denke sowieso jeden Tag an die Hölle von Auschwitz. Das ist tief in mir. Ich spüre eine Verantwortung denen gegenüber, die hier gestorben sind, davon zu erzählen.“ Bis heute hält sie im Dialog-Zentrum in Auschwitz Vorträge über ihre Kindheit im Lager: „Mein Vater wusste als Postbeamter und Mitglied des Widerstands einiges, was in den Konzentrationslagern vor sich ging. Als unser Eisenbahnwaggon in Auschwitz ankam, sah mein Vater das Stationsschild und schrie auf: ‚Wohin haben sie uns gebracht!‘. In dem Moment wusste ich als Kind, dass uns Schreckliches bevorstand.“ Die Erinnerung wachhalten und an die nächsten Generationen weitergeben, das ist das Anliegen von Zdzisława Włodarczyk.
Manfred Deselaers
„Mein Zuhause ist im polnischen Oświęcim“, sagt Manfred Deselaers. Seit 1990 lebt der katholische Priester aus Düsseldorf in Oświęcim, der Stadt, die unter dem Namen Auschwitz schreckliche Geschichte geschrieben hat. Manfred Deselaers versteht sich als Brückenbauer zwischen den Völkern. „In meiner Schulzeit kam der Holocaust im Unterricht nicht vor“, erinnert sich der 68-Jährige. „Nach dem Abitur war ich für die Aktion Sühnezeichen anderthalb Jahre in Israel. Seitdem hat mich das Thema beschäftigt und dort entstand auch mein Wunsch, Priester zu werden.“ Manfred Deselaers deutsche Heimatgemeinde hatte Kontakte nach Polen. So kam er an die Katholische Universität Lublin, lernte die polnische Sprache - und lebt seitdem in Auschwitz. In der Stiftung „Zentrum für Dialog und Gebet“ ist Deselaers Vizevorsitzender: „Entscheidend für meine Arbeit hier im Zentrum ist das Zuhören. Dafür müssen wir Vertrauen aufbauen.“ Deselaers ist überzeugt, dass die kontinuierliche Erinnerung die Menschen davor bewahren kann, dass sich die Geschichte wiederholt.
Makrina Finlay
Die Benediktinerin Makrina Finlay lebt seit 18 Jahren im Kloster Dinklage im Oldenburger Münsterland. Lächelnd berichtet sie: „Mit dem Kirchenasyl bewahren wir jesidische Kurden davor, in den Irak abgeschoben zu werden.“ Die gebürtige US-Amerikanerin Finlay hat in Kalifornien Geschichte studiert, fühlt sich aber in Deutschland beheimatet – und inzwischen hat sie mit ihrer Hartnäckigkeit 130 Menschen davor bewahrt, in ihre zerstörte und unsichere Heimat abgeschoben zu werden. Sie spricht Kurmandschi, einen kurdischen Dialekt, fährt regelmäßig in den Irak, wo sie ein Farmprojekt betreibt, und hat viele unterschiedliche Kulturen und Ethnien kennengelernt. „Ich sehe mich durchaus als Arbeiterin für den Frieden. Ungerechtigkeit kann ich nicht ertragen.“
Sanja Horvat
Sanja Horvat arbeitet seit vielen Jahren als Koordinatorin und Projektmanagerin bei der Caritas in Bosnien und Herzegowina - und sie ist Vorstandsvorsitzende und Freiwillige der gemeinnützigen Organisation NARKO-NE (Nein zu Drogen) in Sarajevo. Als in ihrer Heimat 1992 der Krieg ausbrach, war sie 17 Jahre alt und im ersten Jahr ihrer Krankenpflegeausbildung. „Ich half den Verwundeten, manchmal habe ich auch Frauen geholfen, ihre Babys auf die Welt zu bringen. Wir haben
ein kleines Café in ein Feldlazarett umgewandelt und dort Operationen durchgeführt.“ Nach dem Ende des Krieges arbeitete Sanja für das Programm „Frieden und Versöhnung“, das religiöse Organisationen von Muslimen, Katholiken, Juden und orthodoxen Christen zusammenbringt. Sie sagt: „Sarajevo ist heute eine Stadt, in der viele Kulturen nebeneinander existieren - und jeder Einwohner ist Mitgestalter des Friedensprozesses. Man fragt nicht nach der ethnischen Zugehörigkeit oder Nationalität, wenn jemand Hilfe braucht, man hilft einfach. Jeder ist in diesen Jahren verantwortlich, den Frieden zu bewahren.“
Otto und Ana Raffai
„Wie kann man Frieden schaffen – und diesen Frieden auch dauerhaft bewahren?“ – Für Otto und Ana Raffai aus Kroatien war das eine der zentralen Fragen während und nach dem Balkankrieg in den 1990er-Jahren. Deshalb engagieren sich die beiden bis heute in der von ihnen gegründeten Initiative RAND (Regional Address for Nonviolent Action). Diese Organisation ist in den westlichen Balkanländern, einschließlich Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kroatien tätig und führt Schulungen und Seminare durch. Dort lernen die Teilnehmenden Methoden des gewaltfreien Konfliktmanagements kennen und erfahren, wie gewaltfreie Kommunikation funktionieren kann. Seit vielen Jahren leiten Otto und Ana Raffai Gruppenworkshops für Lehrer, Kirchenmitarbeiter und Vertreter verschiedener Religionen: „Die wichtigste Methode der gewaltfreien Kommunikation ist die Abwesenheit von Schuldzuweisungen. Dies ermöglicht es, den Konflikt zu transformieren und die andere Person nur als andere Person zu sehen, nicht als etwas, das ihr von außen zugeschrieben wird.“
Rostyslav Vysochan
Pater Rostyslav Vysochan ist Offizier der Militärseelsorge und leitet professionelle Seelsorgekurse an der Nationalen Militäruniversität in Kiew, um Seelsorger auszubilden, die den ukrainischen Soldaten zur Seite stehen. Der Grund für sein Engagement als Militärseelsorger: Als Seminarist und Student an der Ukrainischen Katholischen Universität besuchte er eine Liturgie an der Armeeakademie. „Ich war beeindruckt von der aufrichtigen Beziehung zwischen den Kadetten und dem Kaplan und von der Einfachheit des Gottesdienstes. Es gab kein Pathos, wie wir es auf Gemeindeebene gewohnt sind, alles war sehr bescheiden, aber in dieser Einfachheit und Bescheidenheit spürte ich, dass Gott auf besondere Weise gegenwärtig war. Dass Gott durch diese Gottesdienste jene jungen Menschen erreichen möchte, die es gewagt haben, einen schwierigen Dienst zu übernehmen - die Verteidigung ihres Landes. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich mich in diesem Dienst engagieren würde.“
Simona Furman
Die 19-jährige Simona Furman hat sich entschieden, nach ihrem Fachabitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in Oświęcim (Auschwitz) zu machen. Sie arbeitet im „Zentrum für Dialog und Gebet“ und organisiert dort Begegnungen mit jungen Leuten. Für sie sei das der beste Ort für ihren Freiwilligendienst, sagt Simona. Sie lebt im niedersächsischen Emsland und hat polnische Wurzeln und spricht fließend Polnisch. Tief beeindruckt hat sie die Begegnung mit dem Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub, der jugendlichen Besuchern von seinem Überleben in vier Konzentrationslagern erzählte. Simona Furman sagt: „Ich bin froh, mein Wissen und meine Erfahrungen weitergeben zu können. Viele Besucher sind emotional angegriffen, wenn sie nach Auschwitz kommen; das muss man behutsam auffangen.“
Nazife, Beatrix und Lilia
Das Abraham-Haus in Marl ist etwas Besonderes: In einer Mitmach-Ausstellung lernen dort Schulkinder, Eltern und Lehrer die drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – aus erster Hand kennen. In den liebevoll gestalteten Räumen stellen Vertreterinnen und Vertreter der abrahamitischen Religionen ihren Glauben vor. Zum Beispiel die 57-jährige Nazife Güner, in ihrer Moschee zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, oder die 67-jährige Beatrix Ries, die den Bereich „Christentum“ betreut. Dritte im Bunde ist die 66-jährige Lilia Vishnevetska, die aus der Ukraine nach Marl gekommen ist und im Abraham-Haus ihre jüdische Religion vorstellt. Das ganze Team um die drei Frauen ist sich einig, dass Integrationsarbeit und Wissensvermittlung enorm wichtig sind. „Wir bringen Licht ins Dunkel des Nichtwissens. Die politischen Querelen bleiben außen vor“, sagt Nazife Güner.
Anastasija Verkhoretska
Anastasija Verkhoretska ist eine von knapp einer Million Ukrainerinnen und Ukrainern, die seit Kriegsbeginn als Flüchtlinge nach Polen gekommen sind – kein anderes Land hat im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Menschen aufgenommen als Polen. Die 24-jährige Anastasija stammt aus aus der ostukrainischen Millionenstadt Dnipro und hat dort Geschichte und internationale Beziehungen studiert. Nach einer dramatischen Flucht kam sie in Lublin an – und merkte schnell, dass sie sich dort nützlich machen könnte. Sie engagierte sich in der Nothilfe für die Geflüchteten. Dann habe ihr die Katholische Universität Lublin eine Unterkunft angeboten und ihr die Gelegenheit gegeben, ihre Doktorarbeit zu schreiben, erzählt sie. „Ich bin in großer Sorge um mein Land und meine Familie, aber gleichzeitig unendlich dankbar, hier eine Perspektive zu haben. Dafür will ich auch etwas zurückgeben: Einen großen Teil meiner Freizeit verbringe ich ehrenamtlich damit, auf einer Website Informationen für Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen zu aktualisieren.“ Langfristig träumt die junge Frau davon, in die Ukraine zurückzukehren, um ihre Kräfte für den Wiederaufbau einzubringen.
Beata Piskorska
Als Vizerektorin der Katholischen Universität Lublin ist Beata Piskorska eine vielbeschäftigte Frau. Doch der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat ihr Leben durcheinandergewirbelt. Als in den ersten Tagen nach dem russischen Angriff hunderttausende Flüchtlinge in die Stadt strömten, leistete die Katholische Universität Soforthilfe: Unterkünfte in Studierendenwohnheimen und Gästehäusern wurden bereitgestellt, Studierende und Professoren organisierten einen 24-Stunden-Notruf, Rechtsberatung und psychologische Hilfe. Beata Piskorska fuhr mit ihrem eigenen Auto zur Grenze, vollgepackt mit Winterkleidung. „Es war das reinste Chaos, die Leute hatten kaum etwas anzuziehen gegen die Kälte“, erinnert sich die 45-Jährige. „Unsere Uni hat getan, was in ihren Möglichkeiten stand, 500 Freiwillige, Studierende und Lehrkräfte haben die Flüchtlinge in dieser ersten dramatischen Zeit unterstützt. Aber im Grunde hat die gesamte Bevölkerung Lublins geholfen.“ Bei einem von der Uni organisierten Solidaritätskonzert wurde eine hohe Spendensumme gesammelt, sagt sie: „Aber das Schönste war, an diesem Abend erstmals wieder ein Lächeln in den Gesichtern der ukrainischen Flüchtlinge zu sehen.“
Meinolf Wacker
Vor dem Pfarrhaus in Kamen steht eine vier Meter hohe Stele. An jeder Seite prangt die Botschaft „Friede auf Erden!“ - auf Deutsch, Englisch, Russisch und Serbokroatisch. „Mittlerweile gibt es weltweit 1000 dieser Friedensmahner“, erklärt der 63-jährige Meinolf Wacker. Er ist Jugendpfarrer im Erzbistum Paderborn, aber das Heimatbistum reicht nicht für alle seine Ideen: Als 1995 das Dayton-Abkommen, das den Krieg in Bosnien und Herzegowina beendete, gerade unterschrieben war, setzte er sich ins Auto und fuhr nach Nordbosnien – es sollte die erste von mehr als 70 Fahrten sein. „Ich musste Brücken bauen, gerade zwischen den Jugendlichen. So kam die Idee eines Jugendcamps auf: Mit 26 Jugendlichen leisteten wir erste Aufbauarbeiten und setzten unter anderem eine Schule und einen Kindergarten instand.“ Das Projekt namens „go4peace“ wuchs. Später war Jugendpastor Wacker mit seinen Mitstreitern aus go4peace maßgeblich am Aufbau des Jugendzentrums „Johannes Paul II.“ in Sarajevo beteiligt. Dort treffen sich jährlich Jugendliche aus 17 Nationen zu Friedenscamps oder auch zur Ausbildung von Jugendgruppenleitern: „Die werden echte Friedensbotschafter“, ist sich Wacker sicher. „Und sie werden heute so dringend gebraucht wie in der Zeit nach den Jugoslawien-Kriegen.“
Julia Kormosh
Behutsam lagert die 86-jährige Nadia Bobrovska ihren bettlägerigen Sohn um, unterstützt von der Caritas-Pflegerin Julia Kormosh. „Am schlimmsten ist es bei Luftalarm. Ich kann meinen Sohn nicht in den Schutzkeller mitnehmen, also bleibe ich bei Andriy am Bett sitzen“, seufzt Frau Bobrovska. Seit vielen Jahren leidet ihr Sohn an Multipler Sklerose, sein Zustand verschlechterte sich so sehr, dass sie auf Hilfe angewiesen ist. „ Julia ist mein Engel“, sagt die Mutter, „ein Lichtblick in diesen dunklen Zeiten.“ „Ich mache am Tag acht Hausbesuche“, erklärt die 25-jährige Julia, „und versuche, mir immer etwas Zeit zu nehmen für persönliche Gespräche. Viele Ältere sind vereinsamt und ängstlich; der Krieg macht natürlich alles noch schlimmer. Und als Ukrainerin weiß ich, wie schnell man vom Helfer zum Hilfesuchenden werden kann. Meine Arbeit bei der Caritas sehe ich als Friedensbeitrag: Ich erhalte die Würde der Menschen“.
Myroslaw Marynowych
Was für ein Leben: Der 74-jährige Menschenrechtsaktivist Myroslav Marynovych verbrachte sieben Jahre als Zwangsarbeiter in der Sowjetunion, heute ist er Vizedirektor der Katholischen Universität in Lviv (Lemberg) und und vielfach geehrt und ausgezeichnet. Marynovych studierte Elektrotechnik, schon früh stand er in Verbindung mit antikommunistischen Dissidenten. Als er 1976 eine Zweigstelle der Moskauer Helsinki-Gruppe zur Verteidigung der Menschenrechte gründete,
wurde er zu Lagerhaft mit anschließender Verbannung verurteilt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion engagierte sich Marynovych im interreligiösen Dialog mit Orthodoxen und Evangelikalen. Unermüdlich wirbt der Mitbegründer des ukrainischen Ablegers von „Amnesty International“ auf Konferenzen für Menschenrechte überall auf der Welt. In der Ukraine ist Marynovych als Galionsfigur des kirchlichen Widerstands gegen die sowjetische Diktatur anerkannt. „Die Rolle der Kirche ist enorm wichtig,“ sagt er. „Sie gibt den Menschen Kraft.“ „Schauen Sie sich um in Lviv“, erklärt er, „hier gibt es sechs Kathedralen der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Alle leben friedlich miteinander, das unterscheidet uns auch von Russland, wo es nur eine Staatskirche gibt.“
Über die Fotografin und den Fotografen der Ausstellung
Mariia Varanytska (Ukraine)
Mariia Varanytska, Jahrgang 1995, ist künstlerische Fotografin aus dem westukrainischen Lviv/Lemberg, geboren in Gomel, Belarus. Seit gut fünf Jahren sammelt sie Erfahrungen im Bereich der gegenständlichen Fotografie und vor allem beim Inszenieren eines möglichst präzisen Abbilds der Wirklichkeit. Ihr liegt bei ihren Arbeiten sehr daran, „die Essenz der Natur einzufangen“ und überzeugende Porträts zu erstellen. Als Reaktion auf den Ausbruch des Krieges im Jahr 2022 widmet sie sich Projekten, die mit Freiwilligen zusammenhängen. Dazu gehören „Small Stories of Big War“ und andere Initiativen, die sie derzeit entwickelt.
Achim Pohl (Deutschland)
Achim Pohl, Jahrgang 1961, studierte Kommunikationsdesign in Essen und machte sein Diplom 1992 mit der Fotoarbeit „Grenzenlos – Roma in NRW“. Seitdem ist er regelmäßig für Hilfsorganisationen in Osteuropa und den Ländern des globalen Südens unterwegs. Mehrere seiner Langzeitreportagen beschäftigen sich mit jugendlichen (Sub)Kulturen. Achim Pohl lebt als freiberuflicher Fotograf in Essen und Wuppertal, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.