Flagge der Ukraine vor blauem Himmel
Flagge der Ukraine
Quelle: Shamil Khakirov, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
24.08.2016 – n-ost Hintergrund

Beste Feinde

Die Ukraine feiert am 24. August 25 Jahre Unabhängigkeit. Doch das Verhältnis zu Russland ist auch für die souveräne Ukraine die große Schicksalsfrage geblieben.

Ein Hintergrund von n-ost-Korrespondentin Simone Brunner, Kiew

Kiew (n-ost) – Der Himmel über Kiew gehört den Frauen: Eine slawische Göttin, in Gold gehüllt, und eine Kriegerin aus Stahl, mit Schwert und Schild. Beide haben die Hände zum Himmel erhoben, in feierlicher Siegerpose. Die zwei Statuen im Kiewer Zentrum stehen für zwei Pole der jüngeren ukrainischen Geschichte: Die „Mutter Heimat“, ein sozialistisches Denkmal für den Zweiten Weltkrieg am Ufer des Dnipro, trägt das Wappen der UdSSR im Schild und steht für die Verbundenheit zwischen Moskau und Kiew. Die „Berehynja“, die slawische Göttin, in ukrainische Tracht gekleidet, hat schon zwei Revolutionen am „Maidan“, dem Unabhängigkeitsplatz, erlebt. Zwei Modelle der historischen Verständnisses: patriotisches nation building und kommunistischer Imperialismus.

Am 24. August feiert die Ukraine 25 Jahre Unabhängigkeit. Doch das Verhältnis zu Moskau ist auch für die souveräne Ukraine eine der großen Schicksalsfragen geblieben. „Russland und die Ukraine haben die meiste Zeit ihrer post-sowjetischen Geschichte als siamesische Zwillinge verbracht“, schreibt der russische Journalist Leonid Bershidsky in seiner Kolumne, „aber in den vergangenen zwei Jahren wurden sie sowohl politisch als auch wirtschaftlich einer chirurgischen Trennung unterzogen.“ Diese „Trennung“ lässt sich in Zahlen ausdrücken. Waren für die Ukraine im Jahr 2012 die EU und Russland gleich starke Außenhandelspartner, ist die EU für die Ukraine mittlerweile zur klaren Nummer eins geworden: 2014 entfiel mehr als ein Drittel aller Importe und Exporte auf die EU, und nur noch ein Fünftel auf Russland. 2015 hat sich der Trend noch einmal verstärkt, mit 37,3 Prozent (EU) und 17,0 Prozent (Russland). Anfang dieses Jahres ist zudem das Freihandelsabkommen mit der EU in Kraft getreten. Doch die Handelsstatistik allein macht noch kein Wirtschaftswunder. „Langfristig hängt der Erfolg des Freihandelsabkommens mit der EU vor allem davon ab, ob es die Ukraine schafft, ausländische Investitionen anzulocken, wie dies etwa Tschechien, Ungarn oder Polen getan haben“, so Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Doch genau da ist Astrov skeptisch: „Vor allem wegen der institutionellen Schwächen wie der Korruption – und auch wegen des Konflikts im Donbass.“

Insbesondere bei den Energielieferungen ist Kiew zuletzt auch stark von Moskau abgerückt. 2015 hat die Ukraine seine Gasimporte aus der EU über so genanntes „reverse gas flow“ verdoppelt. Die Gasimporte aus Russland wurden indes von 14,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2014 auf 6,1 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2015 halbiert. Dass die Ukraine weniger Gas benötigt, liegt aber auch daran, dass das BIP seit 2013 um 19 Prozent gesunken ist – und die Industrie auch weniger Energie verbraucht.

Aber auch im Alltag begegnen sich Ukrainer und Russen immer seltener: Im letzten Jahr vor dem Krieg haben noch 6,1 Millionen ukrainische Staatsbürger Russland besucht, 2014 waren es mit 4,6 Millionen deutlich weniger. Vor einem Jahr wurden zudem alle Direktflüge zwischen der Ukraine und Russland eingestellt. Wenn demnächst Ukrainer visumsfrei in die EU reisen können, werden Reisen nach Russland wohl noch seltener werden. Überhaupt wird die Ukraine insgesamt „westlicher“. „Die ukrainische Gesellschaft ist trotz ihrer regionalen Besonderheiten heute geeinter als zuvor“, schreiben Steffen Halling und Susan Stewart von der Forschungsgruppe Osteuropa der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Dabei sei gerade in den östlichen Landesteilen, die unter ukrainischer Kontrolle sind, die Zustimmung zur Ukraine gewachsen, so die Autoren. „Dieser neu entstandene gesellschaftliche Konsens geht einher mit wachsender Zustimmung zur europäischen Integration des Landes.“ In Zahlen: Vor den Maidan-Protesten sprachen sich 41 Prozent für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine aus, 38 Prozent wiederum für einen Beitritt zur von Russland geführten Zollunion. Im November 2014 waren es 64 Prozent für die EU, nur noch 17 Prozent für die Zollunion.

Was die Bewertung der gemeinsamen Sowjet-Vergangenheit betrifft, werden die Gräben zwischen Kiew und Moskau wohl auch noch tiefer werden. Während die Sowjetnostalgie in Russland wächst, hat das ukrainische Parlament im vergangenen Jahr die umstrittenen Gesetze zur „Entkommunisierung“ verabschiedet. Sowjetische Straßen- und Städtenamen sollen umbenannt, Denkmäler entfernt werden. Glück im Unglück hatte dabei die sowjetische „Mutter Heimat“-Statue: Denn Kriegerdenkmäler zum Zweiten Weltkrieg sind von der Regelung ausgenommen.

Quellen

Inhalt erstellt: 01.12.2016, zuletzt geändert: 28.01.2021

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