Quelle: Renovabis
Hasan Hasanović musste die Knochen seines Bruders bestatten. Was er in diesem Moment fühlte, kann er bis heute nicht in Worte fassen. Am vergangenen Donnerstag erzählte Hasanović vor dem gefüllten Saal des Internationalen Begegnungszentrums der Wissenschaft in München von seiner Geschichte.
1992 flieht Hasanović als 16-jähriger Junge mit seiner Familie nach Srebrenica. Dort erlebt er mit, wie die Stadt von der bosnisch-serbischen Armee eingenommen wird. Mit tausenden Jungen und Männern ist er Teil des sogenannten „Todesmarsch“, auf dem er von seinem Vater und Bruder getrennt wird. Beide überleben den Genozid nicht.
Heute leitet Hasanović das Oral History Project der Gedenkstätte in Potočari, wo über 6000 der Opfer beigesetzt sind. Im Rahmen des Projects interviewt er Menschen, die wie er selbst den Genozid überlebten. Auch über seine Arbeit dort spricht er an diesem Abend, der von Renovabis, der Südosteuropa-Gesellschaft, dem Münchner Forum für Islam, dem Fachbereich „Dialog der Religionen“ des Erzbistums München und Freising und der Freisinger Domberg Akademie organisiert wurde.
Anschließend sprechen Hasanović, die Traumatherapeutin Barbara Abdallah-Steinkopff, die Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte Dr. Marie-Janine Calic und Samedin Dedović, der ebenfalls bosnischer Abstammung ist und in Deutschland lebt, über Erinnerungskultur und darüber, wie die Betroffenen mit den noch immer offenen Wunden umgehen. Insbesondere, da noch heute nationalistische Kräfte in Serbien und der Republika Srpska den Genozid leugnen oder relativieren. Moderiert wurde der Abend von der Chefredakteurin der Zeitschrift "Ost West. Europäische Perspektive" Gemma Pörzgen.
Dabei rückt Dedović, der die Gedenkstätte in Srebrenica schon mehrmals besucht hat, die Situation der Bosnierinnen und Bosnier hier in Deutschland in den Fokus und kritisiert, wie wenig Aufmerksamkeit der Genozid in deutschen Schulen bekomme, obwohl er Teil der europäischen Geschichte sei.
Nach dem Panel-Gespräch teilt sich das Publikum in Gruppen ein, um sich mit den verschiedenen Podiumsgästen auszutauschen. Auf die Frage, wie Erinnerungskultur für Kinder aufbereitet werden kann, erzählt Hasanović, wie er mit seiner eigenen Tochter die Gräber seines Vaters und Bruders besucht hat. Wie sie sich erst schwer dabei tat, einen Zusammenhang zu sich selbst herzustellen. Und wie er ihr dann von seiner Geschichte erzählte und wie er seine Tochter seinen verstorbenen Angehörigen vorstellte. Gemäß seinem muslimischen Glauben sind die Verstorbenen weiter unter uns. In diesem Moment konnte er spüren, wie seine Tochter verstand, welche Bedeutung seine Geschichte auch für ihr Leben hat.
Zum Ende des Abends finden sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem gemeinsamen Gebet ein. An ihrer Kleidung haben sie kleine weiße Blumen angebracht. Sie symbolisieren die Unschuld der Opfer von Srebrenica. Ein grüner Kreis in der Mitte der Blume steht für die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Anerkennung. Der Imam Belmin Mehić vom Münchner Forum für Islam und Pfarrer Thomas Schwartz, Geschäftsführer von Renovabis, sprechen jeweils muslimische und christliche Gebete, um der Opfer zu gedenken. Es ist ein bewegender Augenblick, in dem Trauer und Zuversicht einander sehr nah scheinen.
Quelle: Renovabis
Quelle: Renovabis