Br . Andreas Waltermann überquert einen Gebirgsfluss
Die Dörfer in den albanischen Bergen sind nicht immer einfach zu erreichen.
Quelle: Br. Andreas Waltermann OFM
29.04.2020 – Jubiläum

25 Jahre Einsatz in den Bergen Albaniens

Eine heruntergekommene, kommunistische Arbeiterstadt im Nordosten Albaniens, entstanden 1953 auf dem Reißbrett: Das war Fushë-Arrëz 1995, als zwei deutsche Franziskanerinnen in den Ort kamen. Sie gründeten eine Missionsstation, die jetzt ihren 25. Geburtstag feiert.

Ein Bericht von Bruder Andreas Waltermann

Missionsarbeit in Nordalbanien – wie es begann

Am 26. April 1995 kamen die beiden deutschen Franziskanerinnen Sr. Gratias Ruf und Sr. Bernadette Ebenhoch nach Fushë-Arrëz. Der frühere Bischof von Shkodra, Frano Ilija, hatte die beiden deutschen Schwestern nach Fushë-Arrëz geschickt - dort wollte niemand hingehen. Fushë-Arrëz war eine heruntergekommene, kommunistische Arbeiterstadt im Nordosten Albaniens, entstanden 1953 sozusagen auf dem Reißbrett. Hier fanden Menschen aus den umliegenden Dörfern Arbeit in der Kupferscheide, in den Sägewerken, der Spanplattenfabrik und dem großen LKW-Reparatur-Werk. Die Stadt hatte damals rund rund 9.500 Einwohner, eine Kirche war zu der Zeit nicht geplant. Die meisten Menschen hier sind Christen, etwa 8 % sind Muslime – aber das spielte bei der Gründung dieser Stadt ohne Gott keine Rolle. Fushë-Arrëz und die umliegenden Dörfer waren sehr, sehr arm. Das hat sich bis heute kaum geändert.

Die Schwestern begannen bald nach ihrer Ankunft damit, die Kinder und Jugendlichen um sich zu sammeln, mit ihnen zu singen, zu beten und Katechese zu halten. Sie organisierten Hilfen wie die Unterstützung mit Lebensmitteln, Bekleidung oder Matratzen. Immer wieder mussten die Häuser armer Familien repariert oder neu gebaut werden. Gleichzeitig wurde die jetzige Missionsstation, etwas oberhalb der Stadt gelegen, aufgebaut. Bald entstand auch die Idee, einen Kindergarten zu errichten (in dem heute 55 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren betreut werden, darunter auch drei Kinder mit Beeinträchtigungen).

Ein Foto aus den Gründungstagen: Sr. Gratias Ruf, Don Ernest Troshani (jetzt Kardinal), Bischof Frano Ilia von Shkodra, Sr, Bernadette Ebenhoch
Original-Fotos aus den Gründungstagen: Sr. Gratias Ruf, Don Ernest Troshani (jetzt Kardinal), Bischof Frano Ilia von Shkodra, Sr, Bernadette Ebenhoch (von links)
Quelle: Renovabis-Projektpartner
Die Missionsstation im Bau, im Jahr 1996
Die Missionsstation im Bau
Quelle: Renovabis-Projektpartner

Unterstützt wurden die Schwestern in der Anfangszeit von Don Ernest Troshani, einem älteren albanischen Priester, der fast dreißig Jahre im Straflager der Kommunisten unter unmenschlichen Bedingungen schuften musste. Papst Franziskus hat ihn im Jahr 2016 zum Kardinal erhoben. Don Ernest feierte mit den Menschen regelmäßig Gottesdienste und die Sakramente. So haben die Schwestern hier zunächst Kirche aus lebendigen Menschen aufgebaut, mit einem Blick für das Wesentliche von Kirche: Liturgie, Verkündigung des Glaubens und dem Dienst an den Notleidenden. Bis 2008 gab es keinen festen Priester vor Ort. Fushë-Arrëz wurde zuletzt von Puka aus, unserer Nachbarpfarrei, 20 Kilometer entfernt, mitversorgt.

Eine Kirche wird gebaut

Nachdem sich das kirchliche Leben in Fushë-Arrëz etabliert hatte, dachte man auch über den Neubau einer Kirche nach. Dieser Plan wurde in den Jahren 1998 bis 2005 verwirklicht. Die neue Pfarrkirche St. Josef überragt heute mit ihren beiden Türmen die schäbigen Wohnblocks unserer Stadt. Sie bietet Platz für etwa 400 Gläubige. Das Leben in unserer Gemeinde ist sehr lebendig: wir haben viele Ministranten und Lektoren, einen Chor, über 20 Katechisten und Helfer beim Religionsunterricht, den wir als Kirchengemeinde selber ausrichten müssen.

Der Kindergarten der Missionsstation
Der Kindergarten der Missionsstation, in dem heute 55 Kinder betreut werden.
Quelle: Renovabis-Projektpartner
Die Kirche in Fushë-Arrëz
Die Kirche in Fushë-Arrëz
Quelle: Renovabis-Projektpartner

Ich selbst kam am 18. Oktober 2008 als Kapuziner und Priester nach Fushë-Arrëz und lebe seitdem in der Missionssstation. In den folgenden Jahren kamen stetig neue Pfarreien hinzu, heute gehören zu unserem großen Pfarrgebiet im Umkreis von 70 Kilometern 22 arme Bergdörfer und die Kleinstadt Fushë-Arrëz. In den kleinen Dörfern sind wir einmal monatlich mit einer Eucharistiefeier präsent, in den etwas größeren feiern wir zweimal monatlich Gottesdienst und in der Hauptpfarrei Fushë-Arrëz jeden Sonntag.

Perspektivlosigkeit ist allgegenwärtig

Aufgrund der sehr hohen Arbeitslosigkeit in unserer Stadt und den fehlenden Perspektiven für junge Menschen und Familien erleben wir aktuell wieder einen starken Umbruch: Viele Familien ziehen weg, die Dörfer entvölkern sich zusehends, zurück bleiben oft nur die Alten, Familien mit vielen Kindern, mit behinderten Angehörigen und solche, die materiell nicht in der Lage sind, sich örtlich zu verändern. In den Köpfen junger Menschen herrscht die Meinung vor: nur weg hier, in Albanien hast du keine Chance.
In den letzten 10 bis 15 Jahren ist die Bevölkerung in Fushë-Arrëz um mehr als 6.000 Menschen zurückgegangen. Der Trend, in die großen Städte Tirana, Shkodra oder Lezha zu ziehen, hält unvermindert an. In unserem großen Pfarrgebiet leben jetzt noch etwa 4.500 Katholiken. In den meisten Dörfern gibt es keine Schule und keinen Laden mehr, die Infrastruktur wird zunehmend schlechter. Von Seiten des Staates gibt es so gut wie keine Investitionen. Die Bergregion um Fushë-Arrëz herum gilt als die ärmste in Albanien. Sehr viele Menschen leben von der geringen Sozialhilfe - zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Korruption ist alltäglich und allgegenwärtig, sei es in der kommunalen Verwaltung, im Gesundheitswesen, in der Schule – überall. Versicherungen, Altersversorgung und Krankenkassen oder Mieterschutz sind nicht existent.

Manchmal denke ich: Albanien ist Afrika. Da brennt in einem Dorf ein Haus ab, die Kommune speist die Menschen mit einer symbolischen Spende ab, mit der man nicht einmal das Nötigste zum Wiederaufbau anschaffen kann. Da wird jemand plötzlich schwer krank, die Sozialhilfe reicht nicht aus für den Transport ins Krankenhaus nach Puka. Da beendet ein sehr begabter Schüler die 9. Klasse und die Eltern sind so arm, dass sie nicht an Abitur oder Studium denken können.

Ihre Spenden machen Hilfe möglich

Für die meisten Menschen ist die Kirche der einzige Hoffnungsträger. Seit Jahren unterstützen uns sehr viele Einzelpersonen, Pfarrgemeinden, Vereine und Gruppen aus Deutschland und Österreich durch ihre solidarischen Spenden. Nur deshalb können wir Menschen in Notsituationen hier helfen: durch Hausbauten, durch Reparatur von Dächern, durch Ausbildungshilfen für Schüler und Studenten, durch Unterstützung in Krankheitsfällen und existentiellen Notlagen. Ich bin sehr dankbar für diese vielen Menschen, die unsere Arbeit hier mittragen, für die schönen Initiativen, die Situation der Menschen hier zu verbessern und Not zu lindern. Da wird etwas von der Vorsehung Gottes und von geschwisterlicher Solidarität auch über Grenzen hinweg spürbar.

Was uns bewegt auf die Zukunft hin?

Natürlich die Frage, wie es mit der Missionsstation in Fushë-Arrëz weitegeht. Seit 2016 leben nur Sr. Gratias und ich dauerhaft hier. Sr. Gratias ist bei guter Gesundheit, aber mittlerweile 79 Jahre alt und ich bin 62. Wir halten seit über einem Jahr ohne Erfolg Ausschau nach einer anderen franziskanischen Schwesterngemeinschaft. Doch von Seiten der Deutschen Kapuziner gibt es eine schöne Perspektive für dieses Jahr: Bruder Christian Albert wird die kleine Präsenz hier ab Sommer 2020 verstärken.
Natürlich bewegt uns auch die Frage: wie können wir auch in Zukunft Menschen für ein Leben als Christen und für den Glauben an Gott und seine Liebe gewinnen? Welche Veränderungen sind notwendig, um das religiöse Leben bei aller Schwere des Alltags zu fördern? Wie wird die Pastoral in dieser vergessenen Bergregion in den nächsten Jahren aussehen? Schon jetzt stellen wir uns darauf ein - indem wir beispielsweise Dörfer für den Relilgionsunterricht zusammenlegen. Das wird vermutlich auch mit den Gottesdiensten geschehen. Wie überall, ist auch von uns als Kirche im Bistum Sapa in Albanien ein Umdenken erforderlich. In Zukunft werden wir immer mehr auf die enge Zusammenarbeit mit Laien angewiesen sein. Da ist unser Bistum mit derzeit 15 hauptamtlichen Pastoralassistenten auf einem guten Weg.

Am 26. April 2020 wurde die Missionsstation in Fushë-Arrëz und damit der Wiederbeginn kirchlichen Lebens in unserer Bergregion nach der Zeit des brutalen Kommunismus in Albanien 25 Jahre alt. Das ist ein Grund zu danken: Gott, dem Geber alles Guten, der uns Menschen mit seinem missionarischen Geist bewegt, und den vielen Menschen, die uns mit ihrem Gebet und ihrer Mitsorge begleiten und unterstützen. Wegen der Corona-Pandemie werden wir auf eine größere Feier verzichten. Das Virus legt Albanien schon seit Anfang März 2020 lahm. Öffentliche Gottesdienste und Feierlichkeiten sind derzeit nicht möglich. Und trotzdem sagen wir: Gehen wir mutig weiter in die Zukunft - mit Gottes Hilfe.

Ein grauer Wohnblock in der albanischen Stadt
Ein Wohnblock gleich neben der Kirche
Quelle: Renovabis-Projektpartner
Blick auf die Stadt von oben mit Bergen im Hintergrund
Blick auf die Stadt und die umliegenden Berge
Quelle: Renovabis-Projektpartner
Inhalt erstellt: 29.04.2020, zuletzt geändert: 07.05.2020

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