Erzbischof Abraham Mkrtchyan war zusammen mit Projektleiter Harutyun Harutyunyan zu Projekt-Gesprächen zu Renovabis nach Freising gekommen - und berichtete über die aktuelle Lage in Armenien, fast zwei Jahre nach der „Samtenen Revolution" in dem kleinen Kaukasus-Staat.
Das Gespräch führte Renovabis-Länderreferent Herbert Schedler.
- Herr Erzbischof, Armenien hat uns im Westen im Jahr 2018 aufhorchen lassen. Die Bevölkerung hatte nach Jahren von schlechter Regierungsführung und wirtschaftlicher Stagnation genug, es kam zu einer friedlichen Revolution und im Ergebnis zu einer neuen Regierung, die das Land reformieren will. Wie haben Sie die Tage des Umbruchs erlebt und welche Bilanz ziehen Sie nach mehr als einem Jahr?
Erzbischof Mkrtchyan: Es gab bereits im Jahr 2008 dramatische Ereignisse in Armenien, Demonstrationen und Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten, zehn Menschen wurden getötet. Ich war selbst vor Ort. Es war sehr schwer, dieses traumatische Erlebnis zu verarbeiten. Als vor knapp zwei Jahren die neue Protest-Bewegung begann, haben wir einen geistlichen Rat einberufen. Wir haben alle Priester eingeladen, bei den Demonstrationen dabei zu sein und diese mit einem Gebet zu beginnen. Wir trafen die Vereinbarung, dass wir als Geistliche uns dazwischen stellen würden, falls es wieder zu Ausschreitungen käme. Gott sei Dank gab es 2018 keine bewaffneten Konflikte.
Die armenische Gesellschaft hat jetzt eine Chance bekommen, einen großen Sprung zu machen im Vergleich zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Die Jugendlichen gehen ins Ausland, leben im Westen, in Deutschland beispielsweise, und kommen zurück, mit neuen Ideen. Es kann sein, dass diese Ideen die Ruhe stören – egal: wir müssen die Komfort-Zone verlassen und diese Generation annehmen und akzeptieren.- Die Armenisch Apostolische Kirche gibt es seit dem Jahr 300 nach Christus. Wie wollen Sie heute, nach all den Veränderungen im Land und in der Region, dem Auftrag der Verkündigung des Wortes Gottes in einer modernen Gesellschaft nachkommen?
Erzbischof Mkrtychan: Wir sind das älteste Land mit christlicher Staatsreligion. Die armenische Kirche betrachtet sich als Nationalkirche. Armenien hatte keine Könige, die Kirche trat an die Stelle der Könige. Heute, nach dem Genozid 1915, der Stalin-Zeit, der 70jährigen Verfolgung und Unterdrückung, betrachten die Leute die Kirche als Garant für die Staatlichkeit. Lange Jahre konnte die Kirche lediglich Basisarbeit leisten, doch jetzt steht die Kirche allmählich auf ihren Beinen, auch wenn wir die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht völlig erfüllen können.
Dazu kommt: Die armenische Diaspora ist größer als die Anzahl der Einwohner im Land selbst: Rund sieben Millionen Armenier leben im Ausland. Es gibt über 40 Diözesen, die Mehrzahl davon im Ausland. Für uns in Armenien gibt es keinen anderen Weg, als den Glauben zu bewahren und sich im Inneren zu stärken – und mit Europa in Verbindung zu treten.
- In Armenien sind russische Truppen stationiert. Wie steht die Bevölkerung dazu, gerade die jüngeren Leute?
Erzbischof Mkrtychan: Es gibt etwa 5 000 russische Soldaten, die Truppen bleiben bis 2044. Ein Teil der Bevölkerung betrachtet dies als Teil der Sicherheit gegen mögliche Übergriffe unserer Nachbarn - gerade vor dem historischen Hintergrund, dass die Hälfte des armenischen Staatsgebietes 1920 an die Türkei und Aserbaidschan gegangen ist. Unser Nationalheiligtum, der Berg Ararat, liegt heute in der Türkei. Es gibt aber auch Proteste gegen die Stationierung, gerade von jüngeren Menschen.
- Armenien liegt in einer sehr unruhigen Weltregion, in unmittelbarer Nachbarschaft zu muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei, dem Iran und Aserbaidschan, aber auch zu den christlich geprägten Ländern Georgien und Russland. Wie sehen Sie die Zukunft Armeniens? Können die Konflikte in der Nachbarschaft auf Ihr Land übergreifen? Gibt es Kontakte zu den Kirchen in den zu den Nachbarländern oder auch zu Vertretern muslimischer Glaubensgemeinschaften?
Erzbischof Mkrtychan: Es ist schwierig, in dieser Region dauerhaft Friede zu halten und unsere Nachbarn zu bewegen, sich nicht gegen Armenien zu stellen. Unsere Kirche hat Verbindungen zu den islamischen Zentren – und das funktioniert sehr erfolgreich, beispielsweise im Irak oder in Berg-Karabach. Das ist unsere Rolle: die Verbindung schaffen mit den Nachbarn, damit alles friedlich bleibt.